Zwang zum Aufsichtsrat durch Wirtschaftsprüferbericht?
Nach dem Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (DrittelbG) hat eine GmbH mit mehr als 500 Beschäftigten einen Aufsichtsrat zu bilden. Allerdings ist die Nichtbildung eines solchen Aufsichtsrates nicht mit Sanktionen verbunden. Daher gibt es bei der Mehrheit dieser Unternehmen keinen Aufsichtsrat, was grundsätzlich nicht zu Problemen führt. In vielen Berichten zum Jahresabschluss heben Wirtschaftsprüfer aber diesen Punkt im Sinne einer Nichteinhaltung von Gesetzen als Problem hervor. Dem Unternehmen wird damit attestiert, sich nicht gesetzestreu und folglich nicht compliant zu verhalten, erläutert Platow-Kolumnist Thomas Hey, Partner bei Clifford Chance.
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass ""die weißen Flecken auf der Landkarte der Mitbestimmung"" geschlossen werden. Andererseits stellt sich die Frage, ob es rechtens ist, dies gegen den Willen der Beteiligten - und ohne dass rechtlich Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen sind - zu erzwingen:
§ 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG sieht wörtlich folgendes Mitbestimmungsrecht in Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) vor:
"Die Arbeitnehmer haben ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat nach Maßgabe dieses Gesetzes in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern. Die Gesellschaft hat einen Aufsichtsrat zu bilden; seine Zusammensetzung sowie seine Rechte und Pflichten bestimmen sich nach § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2, nach den §§ 95 bis 114, 116, 118 Abs. 3, § 125 Abs. 3 und 4 und nach den §§ 170, 171, 268 Abs. 2 des Aktiengesetzes.""
Es findet sich aber keine Regelung im DrittelbG, die das Nichterrichten eines solchen Aufsichtsrates sanktioniert. Weiterhin sieht auch das GmbH-Gesetz (GmbHG) nichts vor, nach dem das Nichtbestehen des Aufsichtsrates in irgendeiner Weise das Funktionieren der GmbH behindert. Alle Funktionen des Aufsichtsrates werden durch den oder die Gesellschafter übernommen. Gesetzliche Lücken bestehen insoweit nicht. Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) enthält keine Regelung, die einen Appell an Unternehmen enthält, die Drittelparität umzusetzen. Es gibt Vorschriften (zum Beispiel Ziffer 5.2), die vom Bestehen eines Aufsichtsrates ausgehen. Dies ist aber auch im DrittelbG der Fall. Festzuhalten bleibt: Insbesondere die GmbH funktioniert, ohne dass ein Aufsichtsrat besteht, bei einer Größe von 500 bis 2.000 Beschäftigten auch ohne diesen störungsfrei.
Aus diesem Grund haben viele GmbHs keinen Aufsichtsrat. Nicht selten gibt es kein großes Interesse an der Mitbestimmung und einem Engagement im Aufsichtsrat. Da keine Sanktionierung droht, gibt es relativ wenig Aufsichtsräte in der Drittelbeteiligung. Dies ist in der Praxis eigentlich nicht mit Problemen verbunden, weil die Gesellschafter die Aufgaben des Aufsichtsrates wahrnehmen können. Im Wesentlichen sind diese Aufsichtsräte Informationsgremien, deren wichtigste Aufgaben die Bestellung des Wirtschaftsprüfers und die Prüfung des Jahresabschlusses sind. Die Beratung der Geschäftsführer ist häufig leider nur Theorie.
Anders sehen dies allerdings die Wirtschaftsprüfer: Hier wird eine Berichtspflicht gemäß § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB gesehen, nach der Unrichtigkeiten oder Verstöße gesetzlicher Vorschriften zu berichten sind. Nach dem WP-Handbuch besteht eine solche Berichtspflicht auch nicht erst dann, wenn ein schwerwiegender Verstoß vorliegt, sondern bereits, wenn ein solcher zu erkennen ist. Hierunter könnte man im Sinne einer sonstigen Unregelmäßigkeit das Nichtbestehen eines Aufsichtsrats mit Drittelparität sehen. Nach dem WP-Handbuch besteht eine Berichtspflicht, selbst wenn dem Unternehmen kein Nachteil zugefügt wird. Grundsätzlich soll eine Berichtspflicht aber nach dem WP-Handbuch nur dann bestehen, wenn ein substanzieller Hinweis auf einen schwerwiegenden Verstoß in den zu berichtenden Tatsachen enthalten ist. Der IDW PS 450 Wirtschaftsprüferstandard sieht insoweit vor, dass in diese Wertung das für die Gesellschaft mit dem Verstoß verbundene Risiko, die Bedeutung für die verletzte Rechtsform und der Grad des Vertrauensbruchs einfließen müssen.
Alternativ könnte sich der Prüfer auf eine sonstige Berichtspflicht berufen, aber nur wenn der Bericht für die Adressaten des Prüfberichtes von Interesse wäre.
Diese Bemerkungen der Wirtschaftsprüfer im Abschlussbericht haben zum Teil merkwürdige Konsequenzen: Zunächst sind es die Unternehmen, insbesondere konzernangehörige Unternehmen, mit Compliance-Vorschriften, die Gesetzeseinhaltung verlangen und nach ihrem eigenen Selbstverständnis anstreben; bei ihnen wird Handlungsbedarf erzeugt. Weiterhin möchten sich Unternehmen ungern jedes Jahr sagen lassen, dass sie gegen geltendes Recht verstoßen. Dies macht sich im Jahresabschluss nicht gut. Schließlich gibt es Unternehmen, in denen die Arbeitnehmervertreter zu der Auffassung gelangen, dass der aus ihrer Sicht unhaltbare gesetzeswidrige Zustand geändert werden muss, weshalb sie einen Arbeitnehmervertreter wählen.
Auf den ersten Blick scheint der Vermerk der Wirtschaftsprüfer unbedenklich, da er auf § 321 HGB, die Regeln des WP-Handbuchs und die IDW Standards zurückgeführt werden kann und die betroffenen GmbHs tatsächlich keinen Aufsichtsrat haben, obwohl dies gesetzlich vorgesehen ist. Nach den Wirtschaftsprüfervorgaben müssen grundsätzlich schwerwiegende Verstöße oder sonstige für den Adressaten wichtige Dinge berichtet werden. Nun kann man darüber streiten, ob zum Beispiel regelmäßiges Falschparken mit Dienstwagen, Unstimmigkeiten über die Zahlung von Sozialversicherung oder Verstöße gegen den Mindestlohn nicht mindestens genauso berichtenswert sind. Auf den zweiten Blick stellt sich allerdings die Frage, ob es richtig ist, gerade den Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG im Jahresabschluss zu vermerken.
Diese Frage stellt sich, weil viele andere Gesetzesverstöße – sogar solche, die als Ordnungswidrigkeiten bußgeldbewehrt sind – nicht aufgeführt werden Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Vermerk eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG mit den oben bereits beschriebenen weitreichenden Konsequenzen verbunden sein kann, ist kritisch zu prüfen, ob gerade dieser Verstoß quasi willkürlich aufgenommen werden darf oder ob die Wirtschaftsprüfer ihre bisherige Praxis in diesem Punkt hinterfragen sollten.
Das Thema wird demnächst noch aus einem anderen Gesichtspunkt interessant: Gerade für die drittelparitätisch mitbestimmten GmbHs zwischen 500 und 2.000 Beschäftigten gilt die sogenannte flexible Geschlechterquote ab 1. Januar 2016. Diese Quote ist grundsätzlich eine freiwillige Quote. Es gilt aber dasselbe wie bei der drittelparitätischen Mitbestimmung: Es gibt keine Sanktionen, wenn man sie nicht einführt, grundsätzlich sollte sie aber eingeführt werden. Der Gesetzesentwurf zielt darauf ab, dass die drohende Publizität der Nichteinführung die Unternehmen dazu bewegt, dies zu tun. Doppelt pikant ist, dass es sich bei den grundsätzlich mitbestimmungspflichtigen Unternehmen, die der sog. flexiblen Geschlechterquote unterliegen, auch um solche handelt, , die eben keinen Aufsichtsrat errichtet haben.
Interessant ist, dass es der Gesetzgeber versucht - unterstützt durch die Wirtschaftsprüfer - sich vor gesetzlichen Sanktionen zu drücken, die bestimmte Handlungsweisen von Unternehmen erzwingen würden. Dies geschieht vermutlich aus dem Grund, dass solche Regelungen politisch nicht durchsetzbar wären.
Durch die indirekte Wirkung, dass in den Jahresabschlüssen demnächst sowohl der Verstoß gegen die Regeln der Mitbestimmung als auch der Verstoß gegen die Geschlechterquote aufgezeigt und damit Complianceverstöße und ein politisch unkorrektes Handeln dieser Unternehmen dargestellt werden, kann es in der Tat zu einer unangenehmen Situation kommen. Zum Beispiel dürfte es mit solchen Blackmailings schwieriger werden, im ""War for talents"" um das immer knapper werdende Fachpersonal zu buhlen.
Fazit
Es erstaunt, dass die Wirtschaftsprüfer sich durch die Auswahl, welche Verstöße sie im Jahresabschluss erwähnen, zum Anwalt der Mitbestimmung gemacht haben.
Es stellt sich die Frage, ob sich die Wirtschaftsprüfer hier zum Büttel der zahnlos agierenden Politik machen sollten, indem durch ihre Berichte vom Gesetzgeber gewünschte, aber nicht sanktionierte Zustände ändern sollten.
Interessant ist, dass im Jahre 2004 bei der Übernahme der wenigen für die Drittelparität relevanten Paragrafen des alten Betriebsverfassungsgesetzes von 1952, das bis 2004 nur für einige ganz wenige Paragrafen der Mitbestimmung in Aufsichtsräten der Drittelparität weiter galt, die Nichtsanktionierung der unterlassenen Errichtung des Aufsichtsrats keine Änderung erfahren hat. Der Gesetzgeber hat also eindeutig vor 11 Jahren bestätigt, dass die Errichtung von Aufsichtsräten für Unternehmen zwischen 500 und 2000 Beschäftigte nicht zwingend geboten ist.
Es mag an der Zeit sein, jetzt - nach 11 Jahren der drittelparitätischen Mitbestimmung im neuen Gewand - über eine Veränderung oder sogar eine Abschaffung der Drittelbeteiligung zu diskutieren.
Eine Diskussion über die drittelparitätische Mitbestimmung sollte allerdings offen und breit politisch geführt werden und nicht durch die Hintertür des Wirtschaftsprüferberichts Probleme in ansonsten wirtschaftlich gesunden GmbHs verursachen.
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