Das Rouletterad dreht sich weiter

Mit dem OLG Nürnberg hat erstmals ein deutsches Obergericht über die rechtliche Wirksamkeit sog. „Russian Roulette“-Klauseln entschieden (Urteil vom 20. Dezember 2013, Az: 12 U 49/13). Solche Klauseln spielen in der Praxis eine erhebliche Rolle bei der Ausgestaltung paritätischer Joint Ventures. Das Gericht hat die Zulässigkeit zwar im Grundsatz bestätigt, hierbei in seiner Argumentation aber eine „Hintertür“ für eine Korrektur im Einzelfall offengelassen, die PLATOW-Kolumnist Daniel Dehghanian einmal kritisch beleuchtet.

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt haben zwei Gesellschafter im Jahr 2002 eine Joint Venture-Gesellschaft gegründet, an der sie beide jeweils zur Hälfte (50%) beteiligt waren. Der Gesellschaftsvertrag sah eine von den Beteiligten als „chinesische Klausel“ bezeichnete Regelung vor, nach der jeder Gesellschafter berechtigt war, seinem Mitgesellschafter die von ihm gehaltene Beteiligung an der Gesellschaft unter Nennung eines frei bestimmten Preises zum Ankauf anzubieten. Nahm der Mitgesellschafter das Erwerbsangebot nicht an, war er wiederum verpflichtet, seine eigene Beteiligung an der Gesellschaft zum gleichen Preis an den ursprünglich anbietenden Gesellschafter zu verkaufen. Daneben sah der Gesellschaftsvertrag vor, dass der in Konsequenz der Durchführung des vorstehenden Verfahrens ausscheidende Partner zugleich verpflichtet ist, seine Ämter bei der Gesellschaft bzw. deren Tochtergesellschaften niederzulegen. Während sich der Rechtsstreit im Kern mit der Frage des Bestehens einer Niederlegungsverpflichtung des Beklagten befasste, nahm das Gericht das Verfahren zum Anlass, sich auch mit der Frage nach der grundsätzlichen Wirksamkeit der „chinesischen Klausel“ zu beschäftigen.

Paritätisch ausgestaltete Joint Ventures bergen aufgrund der identischen Gewichtsverteilung naturgemäß das Risiko von Pattsituationen im Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern. Zur Sicherung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft in derartigen Konstellationen haben sich auch in der deutschen Vertragspraxis ursprünglich im anglo-amerikanischen Rechtskreis entwickelte Mechanismen zur Auflösung solcher Selbstblockaden (sog. „Deadlock“) durchgesetzt. Die Hauptspielarten tragen Namen wie „Russian Roulette“ oder „Texan Shoot-Out“; Varianten sind der „Mexican Stand-Off“ und die „sizilianischen Eröffnung“.

Während der gängige Mechanismus beim „Russian Roulette“ (vereinfacht) weitgehend dem oben beschriebenen Konzept der „chinesischen Klausel“ entspricht, bietet beim „Texan Shoot-Out“ ein Partner seinem Mitgesellschafter den Kauf der von dem Mitgesellschafter gehaltenen Beteiligung an der Gesellschaft an; lehnt der Mitgesellschafter ab, ist er seinerseits verpflichtet, dem ursprünglich anbietenden Partner ein höheres Erwerbsangebot für dessen Anteile zu machen. Dieser Mechanismus wird so lange fortgesetzt, bis keiner der Partner das Angebot erhöht. Alle Verfahren haben eines gemeinsam: Sie sind schnell und lösen die Pattsituation in der radikalsten Form, nämlich durch den Verkauf der Beteiligung eines Partners an den Mitgesellschafter und damit verbunden die Auflösung des Joint Ventures. Hierbei ist in den gängigen Spielarten der finanzstärkere Partner strukturell im Vorteil und kann den Prozess zu seinen Gunsten beenden, da er sowohl Erstgebot als auch Gegengebot derart gestalten kann, dass es dem (finanzschwächeren) Mitgesellschafter unmöglich ist, erfolgreich mitzubieten.

Das OLG Nürnberg hat sich nun als erstes deutsches Obergericht zur rechtlichen Zulässigkeit solcher Vertragsregelungen geäußert und diese grundsätzlich bestätigt. Anknüpfungspunkt für die diesbezüglichen Erwägungen des Gerichts waren die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Unwirksamkeit sog. „Hinauskündigungsklauseln“ in Gesellschaftsverträgen. Klauseln, die den Ausschluss eines Gesellschafters ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes in das freie Ermessen des/der Mitgesellschafter(s) stellen, werden aufgrund des hierdurch dauerhaft über dem betroffenen Gesellschafter schwebenden „Damoklesschwerts“ des Ausschlusses und den hiermit verbundenen Einschränkungen in der freien Ausübung seiner Gesellschafterrechte im Grundsatz für sittenwidrig und damit für nichtig gemäß § 138 BGB gehalten. Nach Auffassung des OLG Nürnberg greifen derartige Bedenken im Fall von „Russian Roulette“-Klauseln jedoch nicht durch. Der hiermit verfolgte Zweck, namentlich die Auflösung von (anders nicht auflösbaren) Blockadesituationen in paritätisch ausgestalteten Joint Ventures, stellt nach Auffassung des Gerichts einen sachlichen Grund dar und ist demzufolge nicht zu beanstanden. Ein grundsätzlich bestehendes Missbrauchsrisiko durch den finanzstärkeren Partner führe nicht per se zur Sittenwidrigkeit der Regelung. Eine Sittenwidrigkeit könne lediglich dann vorliegen, wenn von Anfang an feststehe, dass einer der Gesellschafter nicht in der Lage sein wird, den Erwerb von im Rahmen des Vertragsmechanismus angedienten Anteilen zu finanzieren.

Das Urteil bestätigt erstmalig die gängige Vertragspraxis und beseitigt damit bestehende Unsicherheiten bei der Gestaltung von Joint Venture-Verträgen. Es ist daher zu begrüßen, auch wenn die vom Gericht offengelassene „Hintertür“ nicht überzeugt. Insbesondere in der Praxis bedeutsamen Konstellationen, in denen der finanzschwächere Partner das zentrale Know-How in die Kooperation einbringt, erscheint das Kräfteverhältnis zwischen den Partnern auch bei anfänglichem finanziellem Ungleichgewicht in der Gesamtschau hinreichend ausbalanciert. Ein Schutz des finanzschwächeren Partners durch die „Keule“ der Sittenwidrigkeit ist hier nicht erforderlich.

Gleichwohl erscheint es vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichts für die Vertragspraxis ratsam, die bekannten Mechanismen dosiert anzuwenden. Das OLG Nürnberg hat deutlich gemacht, dass es die sachliche Rechtfertigung für derartige Regelungen insbesondere in der hierdurch gewährleisteten Auflösung von nicht anderweitig überwindbaren Pattsituationen sieht. Vor diesem Hintergrund begegnen Gestaltungen, in denen die Regelungen (jedenfalls auch) ohne das Vorliegen einer schwerwiegenden Meinungsverschiedenheit zwischen den Partnern greifen, rechtlichen Bedenken. Es empfiehlt sich daher, das Eingreifen auf solche Konstellationen zu beschränken, in denen die Meinungsverschiedenheit Themen von einigem Gewicht, also echte „Kardinalfragen“ der Gesellschaft, betrifft.

Daniel Dehghanian ist Counsel im Düsseldorfer Büro von Hogan Lovells.

                                                                           


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