Der Mindestlohn ist für alle Unternehmen von Bedeutung!

Am 02.04.2014 beschloss das Regierungskabinett einen Gesetzesentwurf "zur Stärkung der Tarifautonomie". Im darin enthaltenen Mindestlohngesetz (E-MiLoG) ist ein Mindestlohn von brutto EUR 8,50 je Zeitstunde ab 01.01.2015 verbindlich festgeschrieben. Auch Unternehmen, die ihren Arbeitnehmern bereits jetzt ein höheres Entgelt zahlen, trifft das E-MiLoG unter Umständen hart, erläutert Stefan Simon, Partner im Frankfurter Büro von Clifford Chance.

Der Mindestlohn kommt. Das war nach dem Koalitionsvertrag der "GroKo" absehbar. Mit dem Gesetzesentwurf des Regierungskabinetts wurde ein weiterer Schritt in diese Richtung unternommen. Doch die Ausgestaltung des E-MiLoG überrascht: Auch Unternehmen, die bereits jetzt mehr als EUR 8,50 pro Stunde zahlen, können ab 01.01.2015 empfindliche Sanktionen drohen, wenn sie andere Unternehmen – Sub-/Nachunternehmer oder Verleiher  – beauftragen, deren Arbeitnehmer den Mindestlohn nicht erhalten.

Haftung für Vergütung über die eigenen Arbeitnehmer hinaus

§ 13 Satz 1 Halbsatz 1 E-MiLoG begründet die Haftung eines Unternehmens (des Auftraggebers), das einen anderen Unternehmer mit der Erbringung einer Werk- oder Dienstleistung beauftragt hat. Danach haftet der Auftraggeber für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleiher (des Auftragnehmers) zur Zahlung des Mindestlohns. Der Auftraggeber haftet wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Das bedeutet, dass Ansprüche sofort gegen den Auftraggeber geltend gemacht werden können – und nicht erst gegen die Auftragnehmer. Diese Vorschrift ist dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) entliehen. Im AEntG haftet der Auftraggeber verschuldensunabhängig und gemeinsam mit dem eigentlichen Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer. Bislang ist unklar, ob (wie im AEntG) nur solche Leistungen vom E-MiLoG umfasst werden, die im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit des Auftraggebers stehen. Die Haftung des Auftraggebers bei der Befriedigung von Eigenbedarf wäre in diesem Fall ausgeschlossen.

Aufgrund der Bürgschaft des Auftraggebers kann der Arbeitnehmer des Auftragnehmers auf den Auftraggeber zugreifen, ohne zunächst gegen seinen eigenen Arbeitgeber vorgehen zu müssen. Zahlt der Auftraggeber, geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Auftragnehmer auf den Auftraggeber über. Damit einher geht eine ""Abwälzung"" des Insolvenzrisikos auf den Auftraggeber. Ob lediglich der einzelne Arbeitnehmer oder auch die Bundesagentur für Arbeit bei insolvenzbedingtem Zahlungsausfall Anspruchsberechtigter der Bürgschaft ist, wenn sie dem Arbeitnehmer Insolvenzgeld zahlt (wie ausdrücklich im AEntG), lassen Gesetzesentwurf und -begründung zum E-MiLoG nicht erkennen. Die im AEntG enthaltene Begrenzung auf das Nettoentgelt sieht das E-MiLoG nicht ausdrücklich vor. Daher ist unklar, ob der Anspruch auf Zahlung des Arbeitnehmers (oder ggf. der Bundesagentur für Arbeit) in Höhe des Brutto- oder des Nettolohns besteht. Besteht ein Anspruch in Höhe des Bruttolohns, können die Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger Ansprüche gegenüber dem Auftraggeber geltend machen. Der Auftraggeber kann dann beim Auftragnehmer Regress nehmen.

Enthaftung des Auftraggebers

Anders als im AEntG hat der Auftraggeber im E-MiLoG die Möglichkeit, sich zu enthaften. Dafür muss der Auftraggeber nachweisen, dass er weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis davon hatte, dass der Auftragnehmer seiner Verpflichtung auf Zahlung des Mindestlohns nicht nachgekommen ist. Eine solche Beweislastumkehr kennt das Aktienrecht bei der Haftung von Vorstandsmitgliedern. Vorstandsmitglieder haben hier im Schadenfall darzulegen und zu beweisen, dass sie nicht pflichtwidrig gehandelt haben. Sie müssen also ihren Verhaltenspflichten nachgekommen sein. Dabei müssen sie den geforderten Sorgfaltsmaßstab beachtet haben.   

Gemäß der Gesetzesbegründung muss der Auftraggeber nachweisen, dass er bei Auswahl und Kontrolle der von ihm beauftragten Auftragnehmer seine Sorgfaltspflicht nicht in besonders schwerem Maße verletzt hat. Bei der Auswahl sollen unter anderem der ""allgemeine Leumund"" sowie Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Auftragnehmers in der Vergangenheit eine Rolle spielen. Dazu zählt der Ausschluss des Auftragnehmers von der Vergabe öffentliche Aufträge. Das gilt gleichfalls während der Abwicklung des Vertragsverhältnisses: Werden konkrete Anhaltspunkte gegen die Zuverlässigkeit des Auftragnehmers bekannt, hat der Auftraggeber geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verstößen entgegenzuwirken. Als geeignete Maßnahme wird das Einräumen vertraglicher Prüf- und Kontrollrechte des Auftraggebers genannt. Ob sich der Auftraggeber nach dem Einräumen vertraglicher Prüf- und Kontrollrechte auf die Zuverlässigkeit von Nachunternehmen verlassen kann oder es weiterer Maßnahmen bedarf, bleibt abzuwarten. In Betracht käme noch die Vereinbarung eines sofortigen Kündigungsrechts des Auftraggebers, wenn der Auftragnehmer den Mindestlohn nicht zahlt. Dass das Unternehmen auch ohne konkrete Anhaltspunkte stichprobenartig (anonymisierte) Gehaltsabrechnungen kontrollieren muss, sieht der Gesetzesentwurf jedenfalls nicht ausdrücklich vor.

Weitere Sanktionen

Wer den Mindestlohn nicht zahlt, handelt ordnungswidrig. Ordnungswidrigkeiten können mit einer Geldbuße bis zu EUR 500.000 geahndet werden. Ordnungswidrig handelt auch, wer als Auftraggeber einen Auftragnehmer in erheblichem Umfang beauftragt, von dem er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass dieser den Mindestlohn nicht zahlt oder seinerseits nicht nach Mindestlohn zahlende Auftragnehmer einsetzt. Unklar ist dabei, welcher Umfang einer Beauftragung als erheblich anzusehen ist und ob bei einem nicht erheblichen Umfang der Beauftragung in jedem Fall, das heißt auch bei Kenntnis von einem Verstoß gegen die Zahlung des Mindestlohns, keine Ordnungswidrigkeit vorliegt.

Fazit

Das MiLoG soll ein scharfes Schwert werden. Der flächendeckende Mindestlohn kommt nicht allein für Unternehmen, die ""Lohn-Dumping"" betreiben. Auch ein missbräuchliches Ausweichen auf Werk- oder Dienstverträge sowie Arbeitnehmerüberlassung soll verhindern werden. Dafür werden Unternehmen unter Androhung empfindlicher Sanktionen eine Reihe von Kontrollzwängen gegenüber ihrer Auftragnehmern auferlegt. Bei der Umsetzung dieser Vorgaben bestehen Unsicherheiten, weil der Umfang der erforderlichen (Kontroll-) Maßnahmen noch nicht abschließend feststeht. Ohne Beantwortung der offenen Fragen birgt das E-MiLoG für jedes Unternehmen, das sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Hilfe von Sub-/Nachunternehmern oder Verleihern bedient, erhebliche Risiken. Die weitere Entwicklung des Gesetzes sollten daher alle Unternehmen im Auge behalten.

Stefan Simon ist Partner im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltssozietät Clifford Chance.


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