Weckruf für Public-to-Privates in Deutschland – Folgen der Frosta-Entscheidung des BGH

Übernahmen börsennotierter Unternehmen mit Rückzug von der Börse (sog. Public-to-Private oder P2P) sind in Deutschland bislang seltene Phänomene. Prominente Beispiele wie Douglas, Hugo Boss oder Techem bestätigen als Ausnahme diese Regel. Dies erstaunt, weil viele kleine oder mittelständische Unternehmen mit ihrer Börsennotierung unzufrieden sind. Die besseren Finanzierungsmöglichkeiten werden durch die Kosten für das Reporting (mehr als) aufgezehrt und die Kursentwicklung wird als unbefriedigend empfunden. Viele sehnen sich nach stabileren Eigentumsverhältnissen, die auch eine mittelfristig orientierte strategische Neuausrichtung ermöglichen. Gleichzeitig suchen vor allem Finanzinvestoren händeringend nach Anlageobjekten in Deutschland, um das eingesammelte Kapital zu investieren.

Wesentlicher Grund für die bisherige Zurückhaltung bei P2P-Transaktionen ist das – im internationalen Vergleich – strenge deutsche Aktien- und Kapitalmarktrecht. Übernahmeangebote, die ein Investor Aktionären einer im organisierten Markt gelisteten Gesellschaft unterbreitet, unterliegen den Regeln des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG). Danach muss das Angebot erhebliche formelle Anforderungen erfüllen, von der BaFin genehmigt werden und einen Mindestpreis enthalten. Der Preis muss mindestens dem gewichteten Durchschnittsbörsenkurs innerhalb der letzten drei Monate vor Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots beziehungsweise dem höchsten vom Investor innerhalb der letzten sechs Monate gezahlten Preis für Aktien der Zielgesellschaft entsprechen. Ähnliches galt beim Rückzug von der Börse (Delisting). Die außenstehenden Aktionäre hatten Anspruch auf ein Abfindungsangebot mit ähnlichen Mindestpreisregeln.

Nach neuer BGH-Rechtsprechung (Beschluss v. 8.10.2013 – II ZB 26/12) können börsennotierte Unternehmen ein Delisting oder einen Rückzug vom regulierten Markt in den Freiverkehr (Downlisting) durchführen, ohne die Hauptversammlung hierüber beschließen zu lassen und ohne den Aktionären ein Abfindungsangebot machen zu müssen. Zwar bezog sich der BGH in seinem Urteil lediglich auf die Fälle des Downlistings, die Übertragbarkeit auf die Fälle des Delistings wird aber einhellig bejaht (hinsichtlich der Einzelheiten zu der Rechtsprechung sei auf den PLATOW-Beitrag ""Delisting und Downlisting in der neuen Rechtsprechung des BGH"" vom 10. Dezember 2013 verwiesen (hier einzusehen).

Die Entscheidung dürfte ein Weckruf für den P2P-Markt sein.

Zur Veranschaulichung ein fiktiver Beispielfall: Die Aktien der im SDAX gelisteten deutschen D-AG befinden sich zu 71 Prozent in den Händen von sechs unterschiedlichen, voneinander unabhängigen Paketaktionären. Die übrigen 29 Prozent der Aktien befinden sich im Streubesitz. Ein Investor unterstützt den Wunsch des Managements der D-AG nach einem umfassenden Strategiewechsel und möchte das Unternehmen kaufen. Die Paketaktionäre – allesamt institutionelle Anleger – scheuen den Strategiewechsel und sehen dies als eine gute Gelegenheit an, die Aktien aus ihrem Portfolio abzustoßen. Der Investor schließt also mit allen Paketaktionären Verträge über den Kauf ihrer Aktienpakete. Der Vollzug der Aktienkaufverträge ist aufschiebend bedingt durch das Wirksamwerden eines zuvor durchzuführenden Delistings. Der mit den Paketaktionären vereinbarte Kaufpreis liegt im Bereich des aktuellen Börsenkurses.

Auffällige Kursverluste verneint

In der Folgezeit beschließen Vorstand und Aufsichtsrat der D-AG das Delisting. Das Delisting liegt angesichts der enormen Kostenlast der Börsennotierung bei vergleichsweise geringem Nutzen auch im Interesse der D-AG, in deren Interesse Vorstand und Aufsichtsrat zu handeln verpflichtet sind. Dem Delisting-Antrag wird seitens der Börse (erfahrungsgemäß) kurze Zeit später statt gegeben mit der Maßgabe, dass die D-AG noch über einen Zeitraum von sechs Monaten im SDAX gelistet sein muss. Nach Bekanntgabe, aber vor Wirksamwerden des Delistings erteilt der Investor seiner Bank den Auftrag, möglichst viele Aktien der D-AG zu einem Preis zu kaufen, der signifikant unterhalb des derzeitigen Börsenkurses liegt. Da die Kleinaktionäre zusammen weniger als 30 Prozent der Aktien an der D-AG halten, läuft er dabei keine Gefahr, ein Pflichtangebot unter Einhaltung des Mindestpreises abgeben zu müssen. Ebenso wenig führt der Vollzug der Paketverkäufe nach Wirksamwerden des Delistings mangels Anwendbarkeit der entsprechenden kapitalmarktrechtlichen Vorschriften zu einer Anpassung des Angebots an die Kleinaktionäre. Wie entwickelt sich der Kurs nach der Bekanntgabe des Delistings, wie verhalten sich die Kleinaktionäre?

Der BGH verneinte für die Fälle des Downlistings regelmäßig eintretende, auffällige Kursverluste der Aktien nach Bekanntgabe des Rückzugs in den Freiverkehr. Das BVerfG (Urteil vom 11.7.2012 – I BvR 3142/07, I BvR 1569/08), das mit seinem Urteil aus dem Jahre 2012 überhaupt erst den Anstoß für die Änderung der BGH-Rechtsprechung gab, hat sogar in Fällen des vollständigen Börsenrückzugs keine derartige Entwicklung erkennen können. In den betrachteten Fällen wurde der Kurs aber auch durch das verpflichtende Abfindungsangebot gestützt. Im Idealfall trieben Übernahmespekulationen den Aktienkurs sogar noch nach oben. Nach der Frosta-Entscheidung ist zu erwarten, dass der Kurs (erheblich) nachgibt. Mit dem Wirksamwerden des Delistings verlieren die Aktien ihren liquiden Markt. Sind Kleinaktionäre unter diesen veränderten Vorzeichen nun nicht regelrecht zu Panikverkäufen gezwungen? Während substantielle Aktionäre ihre Aktienpakete gegebenenfalls noch außerbörslich mit Hilfe von Banken veräußern könnten, ist Kleinaktionären der außerbörsliche Verkauf meistens nicht möglich. Auch das Festhalten an der außerbörslichen Beteiligung dürfte in den seltensten Fällen im Interesse des Kleinaktionärs sein; nach Durchführung des Delistings entfallen auch die Reporting-Verpflichtungen und somit die Informationsmöglichkeiten des Kleinaktionärs. Erfolg und Misserfolg des Unternehmens lassen sich kaum prognostizieren. Logische Konsequenz sind signifikante Kurseinbrüche und ein Ausstieg der Kleinaktionäre, sei es durch Verkauf über die Börse vor dem Delisting oder durch Annahme eines (dann) unregulierten Kaufangebots des Investors nach dem Delisting.

Die Frosta-Entscheidung dürfte zu einer Belebung des P2P-Marktes führen. Selten zuvor konnten Investoren unliebsame Kleinaktionäre so einfach aus börsennotierten Aktiengesellschaften drängen – ohne förmliche Angebotsunterlage, ohne Einhaltung der Mindestpreisregeln und ohne Pflichtangebot. Vor allem aber führen verhältnismäßig teure Aktienpakete nicht zur nachträglichen Anpassung signifikant niedrigerer Angebote an Kleinaktionäre. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob und, wenn ja, wie der Gesetzgeber auf die Frosta-Entscheidung reagieren wird. Auch wenn es sich nur um eine Momentaufnahme handeln könnte: Die Zeichen für P2Ps in Deutschland stehen gut.

Lars Benger ist Partner, Christian Brenscheidt wissenschaftlicher Mitarbeiter der Anwaltssozietät Hogan Lovells International LLP in Düsseldorf.


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