Europa erbt einheitlich

Über 12 Mio. Europäer leben in der Europäischen Union außerhalb ihres Heimatlandes, und jedes Jahr gibt es in der EU etwa 450.000 grenzüberschreitende Erbfälle. Bisher herrschte hier eine babylonische Verwirrung, weil jedes Land nach anderen Konfliktregeln entschied, welches nationale Recht den Erbfall regelt. Das führte häufig zu großen Schwierigkeiten, weil die einen Länder an das Recht des Wohnsitzes und andere an das des Heimatlandes anknüpften, so dass es auf einer ersten Ebene ebenso zu doppelten wie zu fehlenden Zuständigkeiten kommen konnte. Wie die EU hier nun für Ordnung sorgen will, erläutert PLATOW-Kolumnist Konstantin Mettenheimer.

Am 16.8.2012 ist die Europäische Verordnung zum Internationalen Erb- und Erbverfahrensrecht (EuErbVO) in Kraft getreten und wird ab dem 17.8.2015 Wirkung entfalten. Dies ist ein großer praktischer Fortschritt für Europa. Ein Beispiel: Stirbt ein Schwede mit Wohnsitz in Deutschland, findet bisher nach den Regeln des deutschen internationalen Privatrechts das schwedische Erbrecht Anwendung. Obwohl in diesen Fällen die Ehefrau häufig Deutsche war und sich die Familie und das Vermögen in Deutschland befanden, wurde dieser Fall nach schwedischem Erbrecht gelöst. Dies führte bei vielen wichtigen Grundregeln, wie etwa dem Pflichtteilsrecht oder der Abstimmung mit dem Familienrecht, zu Unklarheiten.

Hier schafft die Verordnung ab 2015 verbindlich in allen Mitgliedstaaten außer Großbritannien, Irland und Dänemark Klarheit. Sie gilt für Erbfälle, jedoch nicht für Schenkungen unter Lebenden. Schenkungen auf den Todesfall werden hingegen erfasst. Die Verordnung erlaubt aber die Einbeziehung von Schenkungen bei der Ermittlung des Erbes, um im Erbfall einen gerechten Ausgleich zu schaffen, wie zum Beispiel beim Pflichtteilsrecht.

Zwei Neuerungen der Verordnung ragen heraus:

1. Bei Erbfällen in der EU findet einheitlich das Erbrecht des Wohnsitzstaates Anwendung (gewöhnlicher Aufenthalt). Der Erblasser hat allerdings das Recht, die Erbschaft dem Recht seines Heimatlandes zu unterstellen. Die Anwendung des Wohnsitzrechts entspricht viel mehr der Lebenswirklichkeit als die Anknüpfung an den Pass.

2. Es wird ein europäischer Erbschein eingeführt. Dieses Europäische Nachlasszeugnis wird künftig in einem Land der EU ausgestellt und entfaltet in allen anderen Länder der EU Wirkung bis zur Vollstreckbarkeit. Hauptzuständig ist das Land, in dem der Erblasser im Todeszeitpunkt ansässig war (gewöhnlicher Aufenthalt). Hat der Verstorbene in seinem Testament das Recht seines Heimatlandes gewählt, so sind dessen Gerichte zuständig. Es gibt weitere Sonderregeln. Nationale Erbscheine bleiben weiterhin möglich, entfalten im Ausland aber nur sehr begrenzt Wirkung.

Ebenfalls zu beachtende Aspekte sind:

  • Auch wenn das neue Recht erst ab 2015 in Kraft tritt, werden letztwillige Verfügungen, die vorher auf dieser Rechtsgrundlage abgefasst wurden, anerkannt, solange der Erblasser am oder nach dem Stichtag 17.8.2015 verstirbt. Leider gilt auch hier: „Der Tod ist gewiß, doch ungewiß die Stunde.“

  • Güterrechtliche Fragen des Eherechtes werden ausgenommen und nicht geregelt. Dies birgt Schwierigkeiten, wenn Fragen des Güterstandes und des Erbrechtes aufeinandertreffen. Zum Beispiel kennt das deutsche BGB den Zugewinnausgleich im Todesfall (§ 1371 BGB) – ist diese Bestimmung Familien- oder Erbrecht?

  • Auch gesellschaftsrechtliche Fragen bleiben unberührt. Gesellschaftsrecht hat also Vorrang vor Erbrecht, so dass über gesellschaftsrechtliche Regeln wie schon bisher indirekt manche Erben von einer Teilhabe an bestimmten Gesellschaften ausgeschlossen werden können, etwa durch Nachfolgeklauseln, Eintritts- und Fortsetzungsregeln.

  • Die neue Verordnung erfasst auch nicht bestimmte Möglichkeiten, etwas quasi am Erbrecht vorbei zu hinterlassen, zum Beispiel durch Lebensversicherungsverträge, Rentenverträge oder Sparverträge.

  • Die Wahl des Heimatrechts soll nicht zur Umgehung von Grundregeln (ordre public) führen dürfen. Hierzu wird in Deutschland allgemein das Pflichtteilsrecht gezählt.

  • Die Neuregelung kann ihren ganzen Nutzen nur entfalten, wenn auch Vorfragen des Erbrechts – etwa nach dem Bestehen einer Ehe, der Abstammung, der Adoption etc. – konsequent aus Sicht der Rechtsordnung beantwortet werden, die den Erbfall regelt.

Insgesamt bringt die Verordnung eine große Vereinfachung und Klarheit mit sich. In der Praxis wird der europäische Erbschein zwar anfangs zu einigen Schwierigkeiten führen, weil die Gerichte eines Landes, die das Europäische Nachlasszeugnis ausstellen, die Regeln eines anderen Landes, in dem dieser Erbschein Wirkungen entfaltet, nicht kennen. Wer jetzt eine letztwillige Verfügung entwirft, muss diese Änderungen in seine Überlegungen einbeziehen, wenn er eine gute Nachfolgeregelung treffen und Streit unter den Begünstigten vermeiden will, eingedenk der Feststellung von Benjamin Franklin: „In dieser Welt gibt es nichts Sicheres, nur den Tod und die Steuern.“

Konstantin Mettenheimer ist Rechtsanwalt, Betriebswirt, Steuerberater und Partner der internationalen Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt. Jeden zweiten Freitag kommentiert Mettenheimer für PLATOW aktuelle Rechtsthemen, ordnet diese für Unternehmer und Anleger ein und zeigt Strategien auf.


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