Gastbeitrag

Legal Tech – Mandatsarbeit neu gedacht

Legal Tech – Mandatsarbeit neu gedacht
Legal Tech – Mandatsarbeit neu gedacht

Ob öffentliche Übernahme oder Private-Equity-Transaktion, ob Kapitalmarktmaßnahme oder Personalmanagement nach einem Merger: Wo immer es Veränderungen in Unternehmen gibt, werden Verträge geschlossen, Abläufe umstrukturiert und vor allem eines: Daten verändert und ausgetauscht. Hinzu kommt eine Flut von Regelwerken, die seit dem Untergang von Lehman Brothers auf alle Marktteilnehmer hereingebrochen ist. Ohne Technologien wie Blockchain, Cloud und Künstliche Intelligenz (KI), die diese Datenflut bewältigen helfen, wäre das Wirtschaftsleben heute kaum noch denkbar. Auch für die Kanzleien bedeutet das ein Umdenken in der Mandatsarbeit. Henrik von Wehrs, Legal Tech Engagement Manager bei Allen & Overy, stellt das Konzept seiner Kanzlei vor.

Kanzleien bewegen sich genau an der Schnittstelle zwischen dem, was Unternehmen wirtschaftlich wollen und dem, was der Gesetzgeber fordert. Was liegt hier näher, als die neueste Technologie einzusetzen? Zeitersparnis, Fehlervermeidung bei Tätigkeiten mit hohem Wiederholungsgrad, Kostensenkung und damit ein hohes Maß an Effektivität sind das Ergebnis, wenn Legal Tech die Verbindung zwischen der digitalisierten Wirtschaft und rechtlichen Themen schafft. Doch die Bewältigung der regulatorischen Dichte ist nur eine Herausforderung. Die andere ergibt sich aus den Anforderungen von Rechtsabteilungen – ganz gleich, ob in Banken oder Industrieunternehmen – an die digitalen Technologien. Bekannte Technologien können nicht eins zu eins übertragen, sondern müssen adaptiert, oftmals sogar völlig neu entwickelt werden. Allen & Overy hat dies früh erkannt, bereits vor 18 Jahren die ersten Schritte in Richtung Digitalisierung unternommen und 2017 den Inkubator Fuse gegründet.

Seitdem sind zahlreiche Legal Tech-Unternehmen aus Fuse hervorgegangen, die sich erfolgreich am Markt etabliert ha-ben und auch in viele deutsche Mandate eingebunden sind. Ein Beispiel: Als erste europäische Großbank emittierte die spanische Banco Santander am 19.9.19 eine Anleihe auf Blockchain-Basis. Auch wenn es sich um ein Pilotprojekt handelte, zeigte der Launch deutlich, dass der digitale Wandel im Finanzsektor unumkehrbar ist. Maßgeblich beteiligt an der Transaktion war das Londoner Fintech-Unternehmen Nivaura. Der nach den EU-Finanzmarktregeln regulierte Dienstleister entwickelt und implementiert digitalisierte und automatisierte Prozesse für Akteure im Kapitalmarkt. Nivaura war 2017 das erste Unternehmen, das sich dem Legal Tech-Inkubator Fuse anschloss.

Die modular aufgebaute Plattform wird von ihren Kunden aus dem Finanzmarktsektor auf ganz unterschiedliche Weisen genutzt: Banken setzen Nivaura zur Verwaltung interner Prozesse ein, als Serviceportal gegenüber Kunden oder, wie geschehen bei Santander – und vorher bereits bei mehreren Industrieunternehmen – als White-Label-Angebot, um die direkte Emission von Wertpapieren zu ermöglichen. Zudem wurde im September das im Rahmen der RegTech-Initiative von Allen & Overy eigens entwickelte Tool – die „RegulatoryGateway“ – erstmals einem breiteren Publikum präsentiert. Kurz gesagt war die Idee dabei, die zur internen Qualitätssicherung entwickelten Tools in einem Portal zu bündeln und erstmals auch unseren Mandanten zugänglich zu machen. Die Beta-Version der RegulatoryGateway hilft den Mandanten dabei, neue regulatorische Initiativen frühzeitig zu erkennen und die praktischen Änderungen sichtbar zu machen. Ferner umfasst diese eine Bestandsaufnahme aller europäischen und nationalen Rechtsakte, die regulierte Unternehmen der Finanzbranche betreffen, klar geordnet nach Themengebieten.

Interdisziplinäre Teams bringen den Vorteil

Technologien, Ideen und Produkte allein machen jedoch den Erfolg nicht aus. In Rechtsabteilungen und Kanzleien müssen Arbeitsmethoden entwickelt und implementiert werden, die es ermöglichen, etwa Blockchain-basierte Emissionen umzusetzen. Was Managementberater seit Jahrzehnten fordern, wird nun gelebt: das Ende des so genannten Silo-Denkens. Im Falle der Zusammenarbeit mit den Legal Techs von Fuse sieht dies folgendermaßen aus: In der Legal Tech-Gruppe unter dem Dach von Allen & Overy kümmern sich mehr als 50 Juristen, Informatiker und Innovationsexperten um Themen, die die Mandanten umtreiben. In der konkreten Fallbearbeitung sitzen Legal Tech, Mandant und beratende Anwälte an einem Tisch und arbeiten gemeinsam. Der Vorteil: Der Mandant kann unmittelbar äußern, was ihn wirtschaftlich umtreibt, die Vertreter des Legal Techs entwickeln die digitale Lösung, und die Anwälte verpassen dem Ganzen einen wasserdichten rechtlichen Rahmen.

Mit diesem Ansatz, der dem Konzept des Agilen Arbeitens folgt, sichern sich die Legal Tech zugleich in einem hochkomplexen und hochregulierten Umfeld ab. Gleichwohl sind digitale Technologien in rechtlichen Fragestellungen, sei es im Finanzsektor oder in Industrie und Handel, nicht unbegrenzt einsetzbar. Denn überall, wo die Beurteilung einer realen, manchmal streitigen Situation gefragt ist, sind juristische Methoden und menschliches Urteilsvermögen unersetzlich. Doch immer dann, wenn Aufgaben mit hohem Wiederholungsgrad zu bewältigen und große Datenmengen zu verarbeiten sind, kommt die Blockchain-Technologie zum Zuge: Bei der Vereinheitlichung von Vertragswerken, der formellen Due-Diligence-Prüfung oder der regulatorischen Compliance kann Legal Tech zum Turbo für Kanzleien und deren Mandanten werden.

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