BGH positioniert sich zu Widerrufsbelehrungen
Der „Widerrufsjoker“ hat die Gerichte in den vergangenen zwei Jahren in zahlreichen Verfahren beschäftigt. Hieraus ging eine sehr uneinheitliche Rechtsprechung hervor, ob der von den Kreditinstituten verwendete Belehrungstext den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt die Gelegenheit genutzt, sich zu zwei unterschiedlich ausgestalteten Fassungen der von den Sparkassen verwendeten Widerrufsbelehrungen zu positionieren. Inwieweit dies zu mehr Rechtssicherheit führt, erläutert Frank van Alen, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei SKW Schwarz Rechtsanwälte.
Verbraucher haben in den vergangenen Jahren den „Widerrufsjoker“ ganz überwiegend dafür eingesetzt, bestehende Kreditverträge innerhalb der noch viele Jahre laufenden Zinsbindungsfrist kostenfrei, ohne die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung, auf das aktuell niedrige Zinsniveau anzupassen oder aber bereits geleistete Vorfälligkeitsentschädigungen von Banken und Sparkassen zurückzufordern. Der Gesetzgeber ist der Prozessflut mit einer Befristung des Widerrufsrechts bis zum 21.06.2016 für Altverträge aus der Zeit vom 01.09.2002 bis 10.06.2010 begegnet, ohne hierdurch Rechtsicherheit für Altfälle zu schaffen. Dies hat sich durch die vier Entscheidungen des BGH nun maßgeblich geändert.
Missbrauch und Verwirkung nicht ausgeschlossen
In einem von dem für das Bankrecht zuständigen XI. Zivilsenat des BGH entschiedenen Verfahren ging es um die Frage, ob die Ausübung des Widerrufsrechts bereits deshalb missbräuchlich sei, weil der Kreditnehmer sich damit von den negativen Folgen einer Investitionsentscheidung habe lösen wollen (Az. XI ZR 501/15). Der Senat verneinte dies mit dem Hinweis, der damalige Gesetzgeber habe das Recht des Verbrauchers zur Ausübung des Widerrufsrechts gerade von dessen mit dem Widerruf verfolgter Intention abgekoppelt, womit sich die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens unter diesen Vorzeichen verbiete. Allerdings käme insbesondere bei bereits beendeten Verbraucherdarlehensverträgen eine Verwirkung des Widerrufsrechts in Betracht, wenn der Kreditgeber darauf vertrauen durfte, das Widerrufsrecht werde vom Darlehensnehmer nicht mehr ausgeübt. In der Sache muss nun das OLG Hamburg entscheiden.
Widerrufsbelehrung „stolpert“ über Fußnote
In der zweiten Entscheidung (Az. XI ZR 564/15) befasste sich der BGH mit der Frage, ob die Widerrufsbelehrung den gesetzlichen Anforderungen bzw. inhaltlichen Vorgaben der BGB-Informations-Verordnung (BGB-InfoV) in der im April 2008 gültigen Fassung entsprach. Die Karlsruher Richter bestätigten zunächst noch einmal ihre bisherige Rechtsprechung (XI ZR 349/10), wonach der Hinweis an den Verbraucher, die Frist beginne „frühestens“ mit Erhalt der Belehrung, nicht mit den gesetzlichen Vorgaben des Deutlichkeitsgebotes in Einklang stünde. Dies gelte in gleichem Maße für die der Widerrufsbelehrung hinzugefügte Fußnote „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“, denn jene Fußnote lasse den Verbraucher im Unklaren, ob die Länge der Widerrufsfrist möglicherweise variieren könne. Das beklagte Kreditinstitut könne sich auch nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion der verwendeten Widerrufsbelehrung berufen, weil diese hinsichtlich der hinzugefügten Fußnote nicht dem damals gültigen Mustertext nach der BGB-InfoV entsprach.
Für die Rückabwicklung des Darlehensvertrages gab der BGH vor, dass die vom Verbraucher auf die von ihm geleisteten Annuitäten beanspruchbare Nutzungsentschädigung sich auf eine Verzinsung von 2,5 Prozentpunkten über dem Basiszins zu beschränken habe.
Nichtzulassungsbeschwerden zurückgewiesen
Zwei Nichtzulassungsbeschwerden von Verbrauchern wies der BGH in dieser Angelegenheit bereits zurück. Gegenstand der Rechtsstreite war eine Widerrufsbelehrung, welcher in Abweichung des von der BGB-InfoV vorgegebenen Mustertextes zwei Fußnoten mit dem Inhalt „Nicht für Fernabsatzgeschäfte“ sowie „Bezeichnung des konkret betroffenen Geschäfts, z. B. Darlehensvertrag vom…“ hinzugefügt waren. Einer der beiden Belehrungstexte enthielt zudem einen Passus über finanzierte Geschäfte, der für den streitgegenständlichen Darlehensvertrag gar nicht einschlägig war. Im letztgenannten Fall (XI ZR 99/16) wies der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Begründung zurück. In dem zweiten Beschluss (XI ZR 309/15) führte der XI. Zivilsenat aus, die vom Kreditinstitut im Belehrungstext ergänzten Fußnoten wären – selbst wenn diese an den Verbraucher gerichtet wären – unbedenklich. Gleiches gelte für die sprachlichen Anpassungen im Belehrungstext.
Fazit
Der BGH hat mit seinen vier Entscheidungen insoweit Klarheit geschaffen, als danach nur die Verwendung der Fußnote „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“ eine so schwerwiegende Veränderung des von der BGB-InfoV vorgegebenen Mustertextes darstellt, durch deren Verwendung der Darlehensnehmer nicht hinreichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist und damit über sein Widerrufsrecht aufgeklärt werde. Hingegen stehen nach Einschätzung des BGH sprachliche Anpassungen und Glättungen sowie klarstellende Ergänzungen im Text der Widerrufsbelehrung, wie z. B. Angaben zum betroffenen Darlehensvertrag oder den Verbraucher nicht verwirrende Fußnoten, einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht nicht entgegen. Der Nebel scheint sich zu lichten.
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