Gastbeitrag

Gesetzesvorhaben stellen die Sanktionspraxis auf den Prüfstand

Michael Holzhäuser und Max-Niklas Blome
Michael Holzhäuser und Max-Niklas Blome © Ashurst

Eine Vielzahl von Kartellbehörden weltweit gewährt Unternehmen Bußgeldrabatte für Compliance-Bemühungen. Hierzu zählen u. a. die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich. Die deutschen Kartellbehörden und die EU-Kommission berücksichtigen die Implementierung von Compliance-Systemen bei der Bemessung einer Geldbuße indes nicht.

Den argumentativen Kern dieses Standpunkts hat 2010 der damalige EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia so zusammengefasst: „If we are discussing a fine, then you have been involved in a cartel; why should I reward a compliance programme that has failed?“ Hieran hat sich bislang nichts geändert.

Aktuelle gesetzgeberische Impulse

Neuen Wind in die Debatte und Anlass für die Kartellbehörden, diese Praxis zu überdenken, könnte nun der Gesetzgeber bringen. So sieht zum einen der aktuelle Entwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) für die mittlerweile 10. Novelle des deutschen Kartellgesetzes (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – GWB) zumindest vor, dass die Einführung eines Compliance-Systems im Anschluss an einen Kartellrechtsverstoß als bußgeldminderndes Nachtatverhalten zu berücksichtigen sein kann (s. a. S. 5). Zum anderen kursiert seit einiger Zeit ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium (BMJV) für ein Verbandssank-tionengesetz, d. h. ein „Unternehmensstrafrecht“ (s. a. PLATOW Recht v. 16.10.19). Als zentrale Sanktion ist hierin eine „Verbandsgeldsanktion“ in Höhe von bis zu 10% des weltweiten Jahresumsatzes vorgesehen. Eines der ausdrücklich erklärten Ziele des Entwurfs ist, Compliance-Maßnahmen zu fördern. Hierzu sollen etwaige Compliance-Maßnahmen bei der Bemessung einer Verbandsgeldsanktion berücksichtigt werden – und dies durchaus in beide Richtungen: Kommt es in einem Unternehmen trotz eines effektiven Compliance-Systems zu einer Straftat, dürfte regelmäßig die fällige Geldsanktion reduziert werden; straferhöhend soll indes bloße „Feigenblatt“-Compliance wirken.

Auswirkungen auf die Kartellbehörden

Beides betrifft wenigstens mittelbar die deutschen Kartellbehörden und sollte von diesen über das „Netz der Wettbewerbsbehörden“, das so genannte ECN+-Netzwerk, auch in die Debatte auf europäischer Ebene eingebracht werden. Ohne Weiteres wirkt sich der Entwurf des GWB-Digitalisierungsgesetzes auf die Sanktionspraxis der deutschen Kartellbehörden aus, wird hiermit doch deren zentrale Rechtsgrundlage – das GWB – unmittelbar geändert.

Aber auch das Verbandssanktionengesetz würde insbesondere dem Bundeskartellamt verwehren, die Augen vor Compliance-Maßnahmen zu verschließen; es hätte diese zumindest zu würdigen. Unmittelbar gilt dies, soweit es um ein Verhalten geht, das gleichzeitig Straftat und Kartellordnungswidrigkeit ist (z. B. Submissionsbetrug). Hierfür sind bereits jetzt im Ausgangspunkt nicht die Staatsanwaltschaften, sondern die Kartellbehörden zuständig. Hieran will auch der Entwurf festhalten, weshalb Kartellbehörden auch für Sanktionen nach dem Verbandssanktionengesetz zuständig wären. Deren Bemessung hätte freilich auch Compliance-Maßnahmen entsprechend zu berücksichtigen (s. o.). „Reine“ Kartellordnungswidrigkeiten umfasst der Gesetzesentwurf zwar nicht direkt. Im Sinne einer einheitlichen Praxis scheint es jedoch geboten, die Bemessung von Verbandsgeldsanktionen einerseits und Geldbußen andererseits durch die gleiche Behörde an einheitlichen Kriterien auszurichten. Beide Maßnahmen wirken für Unternehmen faktisch gleich. Eine Besserstellung bei Sanktionen für eine Straftat gegenüber einer Geldbuße für „nur“ ordnungswidriges Verhalten schiene schwer verständlich und dürfte nicht zu rechtfertigen sein.

Fazit

Unternehmen, die alles Mögliche und Zumutbare unternehmen, um Kartellrechtsverstöße zu vermeiden, verdienen eine ernsthafte Chance auf einen Bußgeldrabatt. Ein Kartellrechtsverstoß, der trotz effektiver Gegenmaßnahmen geschieht, wiegt weniger schwer als ein Verstoß, den ein Unternehmen ohne jedwede Vorkehrungen (oder gerade deswegen!) begeht. Vor allem die aktuellen Gesetzesvorhaben und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollten die Kartellbehörden ermutigen, die bisherige Praxis auf den Prüfstand zu stellen.

Aber auch ganz unabhängig vom Schicksal der aktuellen Gesetzesentwürfe bleiben Compliance-Systeme Teil des unternehmerischen Pflichtprogramms. Im Idealfall verhindern sie, dass es überhaupt zu einem Rechtsverstoß kommt. Falls doch, erleichtern und beschleunigen sie zumindest eine Kooperation als Kronzeuge mit den Kartellbehörden, was Bußgelder vollständig oder zumindest erheblich reduzieren kann. Gibt es keine oder nur unangemessene Compliance-Systeme, stehen bei Rechtsverstößen zudem regelmäßig, wie etwa im Siemens-Verfahren, auch Organhaftungsansprüche im Raum.

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