Volkswagen AG: Neues vom „Diesel-Gate”

VW steht seit Monaten wegen Manipulationen bei Dieselmotoren im Fokus der Öffentlichkeit. Dennoch hat die Hauptversammlung den Vorstand wie vom Aufsichtsrat vorgeschlagen für das Geschäftsjahr 2015 entlastet. Doch damit ist die Angelegenheit für die Vorstände nicht ausgestanden, erklärt Stefan Heutz, Partner im Bereich Gesellschaftsrecht der Essener Wirtschaftskanzlei Kümmerlein. Die Entlastung bereinigt kein Fehlverhalten und beseitigt insbesondere keine Schadensersatzansprüche des Unternehmens. Erst recht schützt sie nicht vor strafrechtlicher Verfolgung.

Angesichts der laufenden Ermittlungen zur Aufklärung der „Diesel-Affäre“ erschien der Vorschlag des Aufsichtsrats, dem Vorstand für das abgelaufene Geschäftsjahr Entlastung zu erteilen, vor allem als politisches Statement. Die Position signalisierte Geschlossenheit in den Reihen der VW-Konzernspitze. Obwohl die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien, habe man Vertrauen zum Vorstand und sei überzeugt, dass er sich stets korrekt und rechtmäßig verhalten habe. Das war ein wichtiges Signal an die Kapitalmärkte: Vertrauen ist wichtig, um den Kurs zu stabilisieren. Dass die Aktionäre dem Beschlussvorschlag in der Mehrheit folgen würden, erschien schon im Voraus auf Grund der Stimmverteilung in der Hauptversammlung eher als Formsache. Mehr als die Hälfte der Stimmrechte werden von der Porsche Automobil Holding SE ausgeübt, deren Interessen auch im Aufsichtsrat vertreten sind. Die Entlastungsentscheidung bedarf nur der einfachen Mehrheit der in der Hauptversammlung vertretenen Stimmen. Deshalb änderte bei der Abstimmung auch die Enthaltung des Landes Niedersachsen – mit 20% der zweitgrößte Stimmrechtsblock – nichts an der positiven Entlastungsentscheidung, wenngleich die Entlastungsentscheidung von Seiten einiger Minderheitsaktionäre heftig kritisiert wurde.

Zeitpunkt der Kenntnissnahme entscheidend

Eine unmittelbare Auswirkung auf die weitere Aufklärung der Affäre hat diese Entscheidung aber ohnehin nicht. Insbesondere enthält sie keinen Verzicht auf etwaige Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Vorstandsmitglieder (§ 93 Abs. 4 S. 3 und § 120 Abs. 2 S. 2 AktG). Hätten die Vorstandsmitglieder frühzeitig von den Manipulationen im Unternehmen Kenntnis gehabt, so könnten sie ihre dem Unternehmen gegenüber bestehenden Pflichten verletzt haben, namentlich ihre Legalitäts- und ihre Legalitätskontrollpflicht. Danach haben sich Mitglieder des Vorstands persönlich an geltendes Recht zu halten und müssen zudem sicherstellen, dass auch die Mitarbeiter des Unternehmens keine Gesetzesverstöße begehen. Als „ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter“ hätten sie einem Manipulationsverdacht unverzüglich nachgehen und etwaige Verstöße abstellen müssen. Entscheidend dürfte sein, wann Mitglieder des Vorstands von den Manipulationen erfuhren. Eine Pflichtverletzung könnte einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand begründen. Darüber hinaus hat die Affäre nun auch eine kapitalmarktrechtliche Dimension erhalten. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat zwischenzeitlich den Vorwurf der Marktmanipulation (Art. 15 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (Marktmissbrauchsverordnung), bislang § 20a WpHG) durch eine falsche oder irreführende Information der Kapitalmärkte im Zusammenhang mit der Diesel-Manipulationsaffäre erhoben und laut Presseberichten sämtliche Mitglieder des Volkswagen-Vorstands bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Konkret wirft sie ihnen vor, eine rechtzeitige Information des Marktes unterlassen und erst zu spät nachgeholt zu haben. Dem Vernehmen nach ermittelt die Staatsanwaltschaft nunmehr gegen zwei Mitglieder des Vorstands, unter anderem den früheren Vorsitzenden Martin Winterkorn. Eine Marktmanipulation kann, je nachdem, ob die Kurse tatsächlich beeinflusst wurden, eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Straftat darstellen. Im letzteren Fall gilt ein Strafrahmen von Geld- oder Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren.

Der Vorwurf der Marktmanipulation hängt unmittelbar mit einer etwaigen Kenntnis des Vorstands von der Manipulation der Dieselmotoren zusammen. Hätten einzelne Vorstandsmitglieder tatsächlich schon früh von den Vorwürfen gewusst und wären pflichtwidrig nicht dagegen vorgegangen, dann hätten sie diese Information auf Grund der Bedeutung der Manipulationsvorwürfe für das Unternehmen den Kapitalmärkten möglicherweise offenlegen müssen. Die Grundlage hierfür ist seit Juli 2016 Artikel 17 Absatz 1 der Marktmissbrauchsverordnung (bislang § 15 WpHG). Demnach sind sogenannte Insiderinformationen grundsätzlich unverzüglich durch spezielle Medien zu publizieren. Insiderinformationen sind solche Informationen, deren Bekanntwerden den Kurs eines Wertpapiers beeinflussen könnten, so wie es die Manipulationsvorwürfe getan haben. Zwar kann unter engen Voraussetzungen ausnahmsweise von der sofortigen Publikation abgesehen werden. Das hätte aber unter anderem erfordert, dass in der Zwischenzeit aktiv Aufklärung betrieben und versucht wurde, die Manipulation abzustellen. Auch dies wird im Zuge der Ermittlungen aufzuklären sein. Durch die Strafanzeige wird die Aufklärung der Vorgänge nun auch von staatlicher Seite betrieben. Es bleibt abzuwarten, welche neuen Erkenntnisse dadurch zutage gebracht werden.

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