Brexit – Konsequenzen für das Arbeitsrecht?

Bislang ist Großbritannien noch gar nicht aus der EU ausgetreten. Es ist noch nicht einmal der notwendige Parlamentsbeschluss gefasst, geschweige denn ein Antrag nach Art. 50 EUV gestellt worden. Wann und unter welchen Bedingungen Großbritannien aus der EU austritt, ist also noch nicht gewiss, gibt Thomas Hey von Clifford Chance zu bedenken.

Auch wenn ein Austritt mit dem Referendum noch nicht erfolgt ist, wäre es fahrlässig, sich nicht schon Gedanken über etwaige Auswirkungen dieser Entscheidung für das Arbeitsrecht zu machen. Erstaunlich ist, dass gerade das traditionell national ausgestaltete Rechtsgebiet des Arbeitsrechts hier besondere Bedeutung erlangt. Der Hintergrund liegt jedoch auf der Hand: Auch wenn das Rechtsgebiet grundsätzlich eine nationale Ausrichtung hat, so ist Arbeit längst sehr international geprägt. Erstes und sich geradezu aufdrängendes Thema ist der europäische Betriebsrat. Hier gibt es zwei denkbare Konstellationen: Es gibt einen europäischen Betriebsrat in einem der Mitgliedsländer und englische Unternehmen entsenden Betriebsratsmitglieder in diesen. Vermutlich scheiden diese Mitglieder aus dem Gremium aus, gegebenenfalls sind Neuwahlen erforderlich. Wesentlich interessanter ist der Fall, wenn der europäische Betriebsrat unter englischem Recht gebildet ist. Unabhängig davon, ob und wann es hierzu eine europäische Direktive gibt, kann es sein, dass der gesamte europäische Betriebsrat neu zu wählen ist. Hierbei wird vieles vom jeweils anzuwendenden nationalen Recht, dem vereinbarten Statut des jeweiligen europäischen Betriebsrats und der Anzahl der beschäftigten EU-Bürger, die ohne Großbritannien im Konzern verbleiben, abhängen. Ein weiterer reizvoller Aspekt ist das Thema Datenschutz: Fachleuten hinreichend bekannt ist die Problematik beim Transferieren von Daten in Drittstaaten seit der Safe-Harbor-Entscheidung des EuGH. Sollte Großbritannien nach dem Austritt den Status eines Drittstaats erhalten, müsste es ein „angemessenes Datenschutzniveau“ nachweisen.

Beachtlich ist zudem, dass die ab Ende Mai 2018 unmittelbar in der EU geltende Datenschutzgrundverordnung in Großbritannien keine Wirkung mehr entfalten würde. Des Weiteren wird zu klären sein, unter welchen Voraussetzungen Dienstreisen und Entsendungen von und nach Großbritannien möglich sind. Diese Frage wird signifikant von den im Rahmen der Austrittsverhandlungen getroffenen politischen Entscheidungen abhängen. Im Worst Case sind Fragen von Visum, Arbeitserlaubnis, Steuer- und Sozialversicherungsrecht zu klären. Noch interessanter dürften die Auswirkungen eines Brexits auf das Thema der sogenannten „Externals“ sein. Schon bisher gab es in diesem Bereich sozialversicherungs- und steuerrechtliche Fragen, die geklärt werden mussten. Hinzu kommen Fragen der Arbeitnehmerüberlassung, eines Rechtsgebiets, das mit Inkrafttreten des geänderten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes am 1. Januar 2017 ohnehin schon neue spannende Fra-gestellungen bereithält. Schließlich bleibt zu klären, wie die Geltung von Rechtsakten der EU in Großbritannien zukünftig sein wird. Sicher ist: EU-Verordnungen entfalten in Großbritan-nien mit einem Brexit keine Wirkungen mehr. Hingegen sind EU-Richtlinien, soweit sie umgesetzt wurden, geltendes, nationales Recht in Großbritannien geworden. Nach einem Brexit entfällt allerdings die Bindungswirkung gegenüber der britischen Legislative. Abweichende Regelungen können jederzeit beschlossen werden. Auch ändert sich der Maßstab bei der An-wendung des Rechts in Großbritannien. So fällt beispielsweise die Unionsrechtskonformität als Auslegungsmaßstab weg. Interessant sind auch die Auswirkungen auf die Implementie-rung der Betriebsübergangsrichtlinie. Zwar wird TUPE (Transfer of Undertaking (Protection of Employment) Regulations) als unbeliebtes Gesetz nach dem Brexit weit oben auf der Liste der zu reformierenden Gesetze stehen. Angesichts der Masse an erforderlichen Neuregelungen nach dem Brexit ist jedoch ungewiss, wann eine Reform tatsächlich erfolgen könnte.

Zusammengefasst heißt das: Durch das Referendum hat sich aus rechtlicher Perspektive bisher nichts verändert. Unternehmen und Konzerne, die eng mit Großbritannien zusammenar-beiten, sind allerdings gut beraten, sich Gedanken über die arbeitsrechtlichen Konsequenzen eines Brexits zu machen. Als erste dringende Maßnahme sollte man sich einen Überblick über Standort und Nationalität der gesamten Belegschaft und den Datenverkehr innerhalb und mit Großbritannien verschaffen. Gibt es einen europäischen Betriebsrat, sollten die vereinbarten Statuten überprüft werden. Teil dieser gedanklichen Vorbereitung sollten bereits Strategien für den Umgang mit Fragestellungen sein, die in einem möglichen Worst-Case-Szenario im Rahmen des Brexits entstehen könnten. Nur so kann gewährleistet werden, dass man nicht von den Konditionen eines Brexits überrascht wird. Für Arbeitnehmer, die in Großbritannien leben und arbeiten, gibt es die Möglichkeit, vorsorglich eine permanente Aufenthaltserlaubnis zu beantragen; es erscheint wahrscheinlich, dass EU-Bürger gute Chancen haben werden, ihren Wohnsitz nicht aufgeben zu müssen und sich weder um Visum noch Arbeitserlaubnis bemühen zu müssen. Auf europäischer Ebene muss geklärt werden, welchen Status Großbritannien gegenüber der EU erhält. Sofern Großbritannien am Ende tatsächlich als Drittstaat zu behandeln sein sollte, stellt sich auf nationaler Ebene die Frage, ob und wenn ja welche bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und Großbritannien geschlossen werden sollten.

 

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