EU geht nächsten Schritt zur Kapitalmarktunion
Die europarechtliche Regulierung der Kapitalmärkte hat einen weiteren wesentlichen Meilenstein erreicht. Am 21.7.19 ist die neue EU-Prospektverordnung in Kraft getreten, die unmittelbar auch in Deutschland gilt und somit keiner Umsetzung in nationales Recht mehr bedarf. Sie wird jedoch weite Teile des deutschen Wertpapierprospektgesetzes ersetzen. Zudem sind auch in weiteren Gesetzen des deutschen Kapitalmarktrechts Anpassungen erfolgt. Für Emittenten bieten sich nun vielfältige Möglichkeiten, Wertpapiere auch prospektfrei anzubieten, wie Mirko Sickinger und Lena Pfeufer von Heuking Kühn Lüer Wojtek erläutern.
Ziel der Neuerung ist die Schaffung einer Kapitalmarktunion, u. a. um so die Finanzmärkte der EU-Mitgliedstaaten transparenter für Anleger zu gestalten. Die EU-Prospektverordnung (Verordnung (EU) 2017/1129) ist unmittelbar anwendbar (so genanntes „Level 1-Dokument“). Zur weiteren Ausgestaltung der Anforderungen der Prospektverordnung gibt es zwei delegierte Verordnungen zur EU-Prospektverordnung (so genannte „Level 2-Dokumente“). Zudem gibt es bereits eine Vielzahl von Dokumenten der europäischen Aufsichtsbehörde European Securities and Market Authority (ESMA; so genannte „Level 3-Dokumente“), welche die Anforderungen der EU-Prospektverordnung und der delegierten Verordnungen weiter konkretisieren, sich aber derzeit teilweise noch im Entwurfsstadium befinden. Des Weiteren steht zu erwarten, dass auch die nationalen Aufsichtsbehörden, also auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Deutschland, entsprechende Guidelines, Q&A’s etc. veröffentlichen werden.
Was bleibt? Was ist neu?
Auch weiterhin gibt es im Grundsatz drei Arten von Wertpapierprospekten. Neben dem regulären Vollprospekt gibt es den so genannten „EU-Wachstumsprospekt“, der sich wie zuvor an kleine und mittlere Unternehmen richtet sowie den Prospekt für Sekundäremissionen, d. h. insbesondere für Kapitalerhöhungen. Eine wesentliche Änderung gegenüber dem alten Recht ist, dass die EU-Prospektverordnung nunmehr wesentlich höhere Anforderungen an die Darstellung der Risikofaktoren stellt. Um, wie in der Vergangenheit nicht unüblich, ein Ausufern der Darstellung von generischen Risiken zu verhindern, sollen nunmehr nur konkrete, auf den Emittenten bzw. das Wertpapier anwendbare Risiken in den Prospekt aufgenommen sowie präzise und knapp beschrieben werden. Zudem müssen nunmehr die wesentlichen Risiken unter Heranziehung der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts sowie des Ausmaßes der negativen Auswirkungen für den Emittenten explizit dargestellt werden.
Befreiung von der Prospektpflicht
Einzelne Regelungen der EU-Prospektverordnung wurden bereits 2017 und 2018 in zwei Stufen in nationales Recht umgesetzt und betreffen Regelungen zur Möglichkeit der prospektfreien Zulassung und des prospektfreien öffentlichen Angebots von Wertpapieren. Unter Berücksichtigung der nun erfolgten weiteren Änderungen des Wertpapierprospektgesetzes gibt es diverse Möglichkeiten, u. a. durch die Erstellung eines Wertpapierinformationsblattes (WIB), Kapitalmarkttransaktionen in erheblichem Umfang auch ohne Erstellung eines Wertpapierprospekts vorzunehmen.
Die Anforderungen und das Verfahren zur Gestattung des Wertpapierinformationsblattes bleiben inhaltlich unverändert im Wertpapierprospektgesetz verankert. Das WIB ist im Gegensatz zur Erstellung eines Wertpapierprospektes mit weitaus weniger Aufwand und somit auch weitaus geringeren Kosten für den Emittenten verbunden.
Nach EU-weitem neuen Recht besteht die Möglichkeit eines prospektfreien Angebots von Wertpapieren in Höhe von bis zu 8 Mio. Euro im Jahr für Emittenten im Regulierten Markt. Zusätzlich besteht nach neuem deutschen Recht die Möglichkeit des prospektfreien Bezugsangebots von Wertpapieren in Höhe von bis zu 8 Mio. Euro im Jahr mit der Pflicht zur Erstellung eines WIB. Eine prospektfreie Emission von Wertpapieren in Höhe von bis zu 8 Mio. Euro im Jahr ohne Bezugsangebot ist zudem möglich mit der Pflicht zur Erstellung eines WIB und unter Beachtung bestimmter Anlagegrenzen sowie unter Einschaltung eines Finanzintermediärs. Schließlich besteht die Möglichkeit für eine prospektfreie Emission von Wertpapieren in Höhe von bis zu 1 Mio. Euro im Jahr mit der Pflicht zur Erstellung eines WIB, aber im Übrigen ohne weitere Anforderungen.
Fazit
Das Inkrafttreten der EU-Prospektverordnung führt zu weitreichenden Änderungen bei den Prospektinhalten. Inwieweit diese in der Praxis aber tatsächlich zu erheblichen Erleichterungen für die Emittenten führen, bleibt abzuwarten. Im Hinblick auf nationales Recht bestehen nunmehr vielfältige Möglichkeiten, Wertpapiere prospektfrei anzubieten. Da die Jahresfrist zum prospektfreien Angebot für jede Wertpapiergattung gesondert gilt, d. h. Aktien, Vorzugsaktien und beispielsweise Wandelanleihen, bestehen diverse Kombinationsmöglichkeiten prospektfreier Kapitalmarkttransaktionen. Dies ist insbesondere für mittelständische Unternehmen attraktiv und bietet die Möglichkeit, den Kapitalmarkt zur Stärkung und zum Ausbau des Geschäftsbetriebs zu nutzen.
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