Gastbeitrag

Gesetzgeber legt bei Arbeitsmarktreformen nach

Thomas Hey
Thomas Hey © Bird & Bird

_ Das vom Bundesrat am 15.5.20 beschlossene „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ erhebt den Anspruch, die Förderinstrumente der Arbeitsmarktpolitik weiter zu entwickeln. Dabei soll das Gesetz Neuregelungen im Vergleich zu dem am 1.1.19 in Kraft getretenen „Qualifizierungschancengesetz“ enthalten und einige Schwachstellen im bisherigen Gesetz beseitigen. Insgesamt ein guter Ansatz, wenn auch nicht der ganz große Wurf, meint Thomas Hey, Partner der Kanzlei Bird & Bird und regelmäßiger PLATOW-Kolumnist.

Das „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ soll auf den Umbau und Strukturwandel zu einer emissionsarmen und digitalen Wirtschaft reagieren, indem es insbesondere beim Übergang von Arbeitskräften in neue Beschäftigungsmöglichkeiten unter-stützt. Im Rahmen dieses Transformationsprozesses kommt der Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten eine zentrale Rolle zu. Im Fokus stehen folglich die Unterstützung von Fördermöglichkeiten und der Ausbau von Qualifizierungswegen.

Vorlage – Qualifizierungschancengesetz von 2019

Ziel des Qualifizierungschancengesetzes war es, die Weiterbildungsförderung und die Beratung zu verstärken sowie Förderregelungen nach SGB II und SGB III an gegenwärtige Herausforderungen anzupassen. Dazu sah das Gesetz die folgenden Lösungen vor: 1. Weiterbildungsförderung für beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unabhängig von Ausbildung, Lebensalter und Betriebsgröße;
2. Stärkung der Weiterbildungs- und Qualifizierungsberatung der Bundesagentur für Arbeit; 3. erweiterter Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Rahmenfrist auf 30 Monate erweitert); 4. Senkung des Betragssatzes zur Arbeitsförderung von 3,0 auf 2,6% sowie 5. dauerhaftes Beibehalten der (bislang nur befristet geltenden) höheren Zeitgrenzen für eine sozialversicherungsfreie, kurzfristige Beschäftigung von drei Monaten oder 70 Arbeitstagen.

Trotz der versprochenen Vorteile und Neuerungen durch das Qualifizierungschancengesetz präsentierte sich die staatliche Förderung in der Praxis als nicht ausreichend. Die Grundidee, den Lohnkostenzuschuss als erfolgreiches Element der Arbeitslosenförderung einzusetzen, war ein Schritt in die richtige Richtung. Leider fehlte es dem Qualifizierungschancengesetz jedoch an einer effizienten und zielführenden Umsetzung dieses Gedankens.

Problematisch erwies sich zum einen, dass die zu qualifizierenden Arbeitnehmer sich vor der Inanspruchnahme etwaiger Qualifizierungsmaßnahmen als „arbeitssuchend“ melden mussten. Für eine erfolgreiche Arbeitslosenförderung bestand daher weiterhin Handlungsbedarf. Auch die Staffelung nach Unternehmensgröße und die daraus resultierende, entsprechend angepasste, prozentuale Verteilung ergab für Betriebe mit großer Mitgliederzahl keine gravierenden Erleichterungen. So mussten Betriebe mit 2 500 oder mehr Arbeitnehmern noch 85% der Förderkosten tragen. Zudem wurde der Ruf nach einer besseren Handhabung der Förderungsmaßnahmen und insbesondere einer Entbürokratisierung des Zertifizierungsverfahrens laut.

Weiterentwicklung – „Arbeit-von-morgen-Gesetz“

Das Arbeit-von-morgen-Gesetz will besonders die Möglichkeiten von Weiterbildung und Qualifizierung in besonderen Situationen weiter stärken. Die bestehenden Fördermöglichkeiten sollen unterstützt und verstärkt werden. Der Regierungsentwurf vom 10.3.20 betont hierbei die Zusammenführung von ausbildungsbegleitenden Hilfen und sog. Assistierter Ausbildung, um Doppelstrukturen zu vermeiden. Auch für Grenzgänger soll die Möglichkeit gewährleistet sein, während einer betrieblichen Berufsausbildung in Deutschland mit der weiterentwickelten Assistierten Ausbildung gefördert zu werden. Förderleistungen werden unabhängig von der Größe des Betriebs zugewandt, wodurch die breitere Ausdehnung des Förderungseffekts entstehen soll. Zudem setzt das Gesetz Anreize für Arbeitgeber, die Weiterbildung ihrer Arbeitnehmer in den Betrieben voranzutreiben: Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge zur beruflichen Weiterbildung werden mit steigenden Fördersätzen (um fünf Prozentpunkte) honoriert; bei der Qualifizierung eines größeren Teils der Belegschaft steigen die Fördersätze ebenfalls (um zehn Prozentpunkte).

Es soll die Option geschaffen werden, die Qualifizierung sämtlicher Beschäftigter, unabhängig von deren Alter und bisheriger Qualifikation, zu unterstützen. Zudem ist geplant, dass im Fall eines erhöhten Anteils schulungsbedürftiger Beschäftigter höhere Zuschüsse gezahlt werden. Um mehr Arbeitnehmer von den verbesserten Förderbedingungen profitieren zu lassen, wird die Mindestdauer für die geförderte Weiterbildung zudem von mehr als 160 auf mehr als 120 Stunden gesenkt.

Vereinfachte Verfahren

Als Reaktion auf die Umsetzung des Qualifizierungschancengesetzes beinhaltet das Arbeit-von-Morgen-Gesetz Regelungen für eine flexiblere und dynamischere Organisation und Vereinfachung der Verfahren zur Zulassung von Maßnahmen der Arbeitsförderung. Das Antrags- und Bewilligungsverfahren wird für Arbeitgeber und Beschäftigte dahingehend vereinfacht, dass sich die Antrags- und Nachweispflichten nach § 82 Abs. 6 SGB III bei Bürgern reduzieren. Der Regierungsentwurf wirbt in diesem Zusammenhang damit, dass sich „bei einem durchschnittlichen Aufwand von zehn Minuten bei rund 10 000 Fällen eine Einsparung beim Erfüllungsaufwand von jährlich rund 1 700 Stunden ergibt“. Zudem sollen Sammelanträge und -bewilligungen für den Fall möglich werden, dass eine Gruppe von Beschäftigten sich in einer vergleichbaren Ausgangssituation befindet.

Die im inhaltlichen Zusammenhang stehenden Regelungen zur frühzeitigen Arbeitssuchendmeldung und Arbeitslosmeldung werden durch die Neuregelungen bürgerfreundlicher gestaltet. Dadurch soll die Effektivität des Vermittlungs- und Leistungsverfahrens wachsen. Die Förderung soll insbesondere in den Fällen erleichtert werden, in denen beruflicher Weiterbildungsbedarf bei einer größeren Anzahl an Arbeitnehmern vorliegt. Auf die Erteilung eines Bildungsgutscheins soll in Zukunft verzichtet werden können, wenn ein dahingehendes Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht.

Kurzarbeit

Die Bundesregierung wird durch das Gesetz ermächtigt, Sonderregelungen mittels Verordnungen bei dem Vorliegen von „außergewöhnlichen Verhältnissen“ kurzfristig einführen zu können. Voraussetzung für ein entsprechendes Tätigwerden der Bundesregierung ist eine krisenhafte Situation, die branchen- oder regionenübergreifend erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Arbeitsmarkt hat, auch wenn sie nicht den gesamten Arbeitsmarkt erfasst. In entsprechenden Verordnungen kann die Bundesregierung regeln, dass 1. die Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds von bis zu zwölf auf bis zu 24 Monate verlängert wird, 2. Arbeitgeberanteile von zu tragenden Sozialversicherungsbeiträgen ganz oder teilweise erstattet werden können, 3. für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ganz oder teilweise auf den Einsatz negativer Arbeitszeitsalden verzichtet wird sowie 4. der Anteil der Beschäftigten, die von Kurzarbeit betroffen sein müssen, reduziert wird.

Ergänzend regelt das „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“, dass für Bezieher von Kurzarbeitergeld, die während des Arbeitsausfalls als Minijobber eine Nebentätigkeit in systemrelevanten Branchen aufnehmen, keine Anrechnung des daraus erzielten Einkommens auf das Kurzarbeitergeld erfolgt.

Transfergesellschaften und Weiterbildungsprämien

Die bisher geltende Voraussetzung, dass der Arbeitgeber mindestens 50% der Lehrgangskosten trägt, wird für kleinere Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten auf 25% herabgesenkt. Die Agentur für Arbeit begrenzt die Maßnahmenkosten auf 2 500 Euro je Arbeitnehmer. Dies soll es den entsprechenden Betrieben erleichtern, Transfergesellschaften einzurichten und Qualifizierungsmaßnahmen zu offerieren. Hinzukommend wird die bisher bestehende Beschränkung auf Ältere und Geringqualifizierte aufgehoben und die Förderung auf alle Arbeitnehmer ausgeweitet werden.

Teilnehmer einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung erhalten beim Bestehen einer durch Ausbildungsverordnung vorgeschriebenen Zwischenprüfung eine Prämie von 1 000 Euro, beim Bestehen der Abschlussprüfung 1 500 Euro. Diese Gewährung von Weiterbildungsprämien soll bis Ende des Jahres 2023 verlängert werden, um Motivation und Durchhaltevermögen der Teilnehmer weiterhin zu stärken.

Fazit

Vor allem der Ausbau der Qualifizierungsmöglichkeiten in Transfergesellschaften während des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld erweitert den Regelungsgehalt des Arbeit-von-Morgen-Gesetzes. Durch den Rechtsanspruch Geringqualifizierter auf Förderung einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung wird insbesondere ein Beitrag geleistet, die Arbeitslosenquote in den jeweiligen Adressatenkreisen zu reduzieren. Zu beachten ist dabei jedoch, dass der entsprechende Rechtsanspruch nicht uneingeschränkt bestehen soll. Ein allgemeines Recht auf Weiterbildung enthält der Regierungsentwurf somit nicht.

Mit den neu geregelten Zuschussleistungen wird an das Qualifizierungschancengesetz angeknüpft: Zuschüsse sollen unabhängig von der Betriebsgröße pauschal um 20 Prozentpunkte erhöht werden, wenn die Beschäftigten innerhalb der folgenden drei Jahre die Anforderungen des Betriebes voraussichtlich nicht mehr erfüllen werden und ein Qualifizierungsplan erstellt ist. Hinzu kommt die „Perspektivqualifizierung“, welche Zuschüsse von bis zu 75% zum Arbeitsentgelt und zu den Lehrgangskosten umfassen soll. Das bereits mit dem Qualifizierungschancengesetz ins Auge gefasste Ziel, Beschäftigte den Strukturwandel überstehen zu lassen, ohne den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, wird durch das Arbeit-von-Morgen-Gesetz praxistauglicher. Diese Fortführung ist durchaus begrüßenswert. Speziell die höheren Förderungssätze für kleinere Unternehmen, die Möglichkeit Sammelanträge zu stellen, die Ausweitung der Qualifikationsmaßnahmen auf sämtliche Arbeitnehmer und die Erweiterung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes konkretisieren die Förderungsmöglichkeiten von Unternehmen. Eine maßgeschneiderte Lösung bietet das Arbeit-von-Morgen-Gesetz jedoch nicht.

Dem Gesetzgeber gelingt leider nicht der ganz große Wurf. Ein wegweisendes Gesetz zur Förderung von Fort- und Weiterbildung der Arbeitnehmer in Deutschland wäre notwendig gewesen. Insbesondere für die Arbeitnehmer in kleinen und mittelständischen Unternehmen, in denen nicht solch perfekte Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bestehen wie im Großkonzern, sollten gefördert werden. Hier wäre ein visionäres Gesetz zur Förderung der Fort- und Weiterbildung von Beschäftigten ein geeigneter Impuls für die deutsche Wirtschaft gewesen; hierfür wäre die Zurverfügungstellung von umfangreichen Mitteln eine gute Idee.

Die Corona-Maßnahmen zeigen, in welchem Umfang die Politik Mittel bereitstellen kann. Es ist schade, dass dies für die zukunftsorientierte Aus-, Fort- und Weiterbildung der deutschen Arbeitnehmer nicht möglich ist.

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