Kartelle – BGH stärkt Geschädigten den Rücken

Die Aufarbeitung von Kartellen durch die Aufsichtsbehörden dauert oft viele Jahre. Wann ein Schadensersatzanspruch der durch ein Kartell Geschädigten verjährt ist, war für so genannte „Altfälle“ lange umstritten. Nun hat der Bundesgerichtshof diesen Streit letztinstanzlich entschieden und damit erneut Deutschland als einen Standort für Kartellschadenersatzklagen deutlich gestärkt, meint Jens Steger, Kartellrechtsexperte im Frankfurter Büro der Sozietät Simmons & Simmons.

 Unternehmen, die gegen das Kartellrecht verstoßen, setzen sich wirtschaftlichen Folgegefahren aus. Zum einen drohen bei Aufdeckung des Kartells empfindliche Geldbußen durch die Kartellbehörden. Zum anderen können diejenigen, die durch das Wirken des Kartells Einbußen erlitten haben, die Kartellanten auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.

Kartellrechtliche Schadensersatzklagen gelten als komplex. Die prozessuale Durchsetzung der Ansprüche kann vielfältige Probleme aufwerfen, so kann etwa die genaue Höhe des Schadens schwer zu beziffern sein. Doch auch die Frage, wie lange ein Schadensersatzanspruch überhaupt mit Erfolg geltend gemacht werden kann, warf bislang Probleme auf: Im deutschen Kartellrecht gilt eine kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von maximal zehn Jahren seit Entstehung des Anspruchs bzw. eine dreijährige Frist ab Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen. Mit Einführung des § 33 Abs. 5 GWB (mittlerweile § 33h Abs. 6 GWB) zum 1.7.05 wurde vom Gesetzgeber festgelegt, dass die Verjährung gehemmt ist, solange die kartellbehördlichen Ermittlungen der EU-Kommission oder der nationalen Kartellbehörde eines EU-Mitgliedsstaates laufen. Nach Inkrafttreten des novellierten Gesetzes war jedoch schnell umstritten, inwiefern die Hemmungswirkung auch auf Ansprüche anzuwenden ist, welche zum 1.7.05 bereits entstanden, aber gerade eben noch nicht verjährt waren. Dies wurde in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich bewertet. Diese nun vom Bundesgerichtshof (BGH) geklärte Rechtsfrage betrifft bereits jetzt zahlreiche Kartellschadensersatzstreitigkeiten in vielen ganz unterschiedlichen Fällen vor deutschen Gerichten in Milliardenhöhe.

BGH – Viele Ansprüche noch nicht verjährt

Der BGH hat die Frage der Verjährungshemmung durch seine Entscheidung vom 12.6.18 nun höchstrichterlich geklärt – zugunsten der auf Kartellschadensersatz klagenden Kläger. In dem konkreten Verfahren ging es um Schadensersatzansprüche eines Baustoffhändlers gegen einen Grauzementhersteller, welcher an einem so genannten Zementkartell beteiligt war und dadurch den Preis für den von 1993 bis 2002 gelieferten Zement wettbewerbswidrig beeinflusst hatte. Die Vorinstanz, das OLG Karlsruhe, hatte die Verjährungshemmung abgelehnt und damit große Teile der geltend gemachten Schadensersatzansprüche als verjährt abgewiesen. Dem schloss sich der BGH nicht an. Er entschied im Sinne der Kläger, dass die Verjährungsfrist auch für alle vor dem 1.7.05 entstandenen Kartellschadensersatzansprüche für die Dauer der Untersuchung durch eine europäische Kartellbehörde gehemmt wird. Damit bleibt der BGH seiner klägerfreundlichen Linie in kartellrechtlichen Schadensersatzfragen der vergangenen Jahre treu und stärkt den Standort Deutschland als einen der interessantesten Standorte für die aktive Durchsetzung von Kartellschadensersatzforderungen einmal mehr.

Folgen für die Praxis

Das Urteil hat für Kläger und Beklagte sowie für den Justizstandort Deutschland für Kartellschadensersatzklagen enorme Auswirkungen. Die Entscheidung betrifft nicht nur Klagen gegen Beteiligte des Zementkartells, auch im Lkw-, Zucker- und Schienenkartell sowie zahlreichen anderen Kartellen spielt die Frage nach der Verjährungshemmung eine wichtige Rolle. Da zwischen Einleitung des Verfahrens und abschließendem Bußgeldbeschluss der Kartellbehörde teilweise mehr als zehn Jahre liegen können, betrifft das Urteil viele Altfälle, was zu einem deutlichen Anstieg der Schadensersatzklagen führen wird.

Positiv zu bewerten ist, dass durch das Urteil weitere Rechtssicherheit geschaffen wurde. Andere Unklarheiten bezüglich der Verjährungshemmung des § 33 Abs. 5 GWB a. F. bleiben jedoch einstweilen bestehen. So bleibt beispielsweise offen, ab wann bei einem Verfahren der EU-Kommission eine Verjährungshemmung eintritt. Die Norm spricht vom Zeitpunkt der Einleitung eines Verfahrens, die EU-Kommission eröffnet Verfahren jedoch (anders als etwa das Bundeskartellamt) erst durch Beschluss, nachdem die – oft mehrere Jahre andauernden – Vorermittlungen abgeschlossen sind. Die Antwort auf diese Frage steht noch aus.

Gerade in Bezug auf das so genannte Lkw-Kartell, das von 1997 bis 2011 bestand, wird sich die Entscheidung des BGH massiv auswirken. Hunderte Geschädigte, die Lkw zu überhöhten Preisen gekauft haben, haben bereits Klagen gegen die Beteiligten erhoben. Die Landgerichte Hannover und Stuttgart haben bereits ersten Klagen dem Grunde nach stattgegeben. Das BGH-Urteil sorgt nun dafür, dass den Geschädigten auch bei lang zurückliegenden Käufen ein Anspruch auf Kartellschadensersatz zusteht.

Die Praxis darf sich also auf viele neue Kartellschadens-ersatzfälle einstellen. Betroffene Unternehmen, die Produkte von vormaligen Kartellanten erworben haben, sind daher gut beraten, zumindest ihre Erfolgsaussichten auf Geltendmachung von Kartellschadensersatz sorgsam prüfen.

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