Gastbeitrag

„Versteckte“ Verschärfungen im Steuerstrafrecht

Andreas Höpfner und Michael Schwindt
Andreas Höpfner und Michael Schwindt © Flick Gocke Schaumburg.

_ Seit 30.6.20 ist das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz in Kraft. Im Schatten von „Steuergeschenken“ wie der zeitweiligen Senkung der Umsatzsteuersätze enthält das Gesetz auch weitreichende Verschärfungen des Steuerstrafrechts. Straftaten, insbesondere bei Cum/Ex-Geschäften, sollen länger verfolgt werden können und hinterzogene Steuern auch dann noch eingezogen werden, wenn die Ansprüche des Fiskus abgabenrechtlich verjährt sind. Hier bestehen etliche Bedenken, es handelt sich insoweit nicht um „eilbedürftige Corona-Maßnahmen“, so Andreas Höpfner und Michael Schwindt, Steuerstrafrechtler bei Flick Gocke Schaumburg.

Steuerhinterziehungsdelikte verjähren in fünf Jahren bzw. zehn Jahren in einem besonders schweren Fall. Diese Frist wird durch bestimmte Ermittlungsmaßnahmen (z. B. Vernehmungen, Durchsuchungen) unterbrochen und beginnt jeweils neu zu laufen, bis zum Eintritt der „absoluten Verjährung“. Diese beträgt grundsätzlich das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist. In besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung – dies trifft wohl auf so ziemlich alle Cum/Ex-Vorwürfe zu – trat bislang nach 20 Jahren absolute Verjährung ein. Durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz wurde die absolute Verjährung für besonders schwere Fälle von Steuerhinterziehungen vom Doppelten auf das 2,5-fache der gesetzlichen Verjährung, also auf 25 Jahre, verlängert (durch Einfügung eines neuen § 376 Abs. 3 AO). Zusätzlich ruht nun für besonders schwere Fälle die Verjährung ab Eröffnung des Hauptverfahrens für bis zu fünf Jahre. Im Ergebnis kann somit nach der neuen Rechtslage die Verjährung einer Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall 30 Jahre betragen.

Einziehung von verjährten Steuern

Grundsätzlich muss der Staat das von einem Täter unrechtmäßig Erlangte einziehen, das betrifft auch hinterzogene Steuern. Der neu eingeführte § 375a AO sieht nunmehr vor, dass rechtswidrig erlangte Steuervorteile im Falle einer Steuerhinterziehung selbst dann eingezogen werden können, wenn der zugrundeliegende Steueranspruch durch Verjährung erloschen ist. Aus Sicht des Gesetzgebers handelt es sich um eine „Korrektur“ der bisherigen Rechtslage. Nach einer jüngeren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH; Urteil v. 24.10.19, Az.: 1 StR 173/19) schied nämlich eine Einziehung aus, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis verjährt ist.

Kritik am Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz

An den „versteckten“ Verschärfungen des Steuerstrafrechts wurde bereits kurz nach dem Erscheinen des Gesetzentwurfs von vielen Seiten harsche Kritik geübt. Entgegen dem Titel und der ausdrücklichen Begründung des Gesetzes handelt es sich insoweit keineswegs um „eilbedürftige Corona-Maßnahmen“. Der zeitliche Zusammenhang mit der in den vergangenen Monaten öffentlich geführten Diskussion lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die (vermeintlich) drohende Strafverfolgungsverjährung bei Cum/Ex-Geschäften der eigentliche Hintergrund der Änderungen ist. Die Cum/Ex-Transaktionen, auf die sich die Strafvorwürfe beziehen, fanden zwischen 2006 und 2011 statt. Nach alter Gesetzeslage wäre für die früheste Tat die absolute Verjährung erst in 2027 eingetreten. Ausreichend Zeit also, um effektive andere Maßnahmen zu ergreifen, um die Verjährung zu verhindern. Etwa eine weitergehende personelle Aufstockung u. a. bei Gerichten und Steuerfahndungen sowie die Förderung eines fachlichen Austauschs unter den Staatsanwaltschaften etc. wären aus unserer Sicht naheliegender gewesen, als die Einführung eines Sonderrechts für Steuerdelikte. Ohnehin hat die Gesetzesänderung (wegen des Rückwirkungsverbots) auf bereits verjährte Taten keinen Einfluss.

Die Verlängerung der Verjährungsvorschriften hat unseres Erachtens eine stark überschießende Tendenz: So führen die Änderungen dazu, dass die Verjährung eines Totschlagdelikts früher als die Verjährung einer Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall eintreten soll.

Schließlich gelten die Neuregelungen für jede (vermeintliche) Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall, nicht nur für Cum/Ex-Fälle. Ein besonders schwerer Fall liegt etwa vor, wenn Steuern in großem Ausmaß, d. h. laut BGH von mehr als 50 000 Euro, verkürzt wurden. Gerade im unternehmerischen Bereich ist diese Grenze regelmäßig erreicht.

Fazit und praktische Bedeutung

Insgesamt erscheint das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz mit Blick auf die Änderungen der steuerstrafrechtlichen Regeln unausgegoren und rechtsstaatlich fragwürdig. Zwar mögen die unmittelbaren Auswirkungen der Verjährungsregeln auf Steuer-strafverfahren mit anderen Vorwürfen als der Beteiligung an Cum/Ex-Geschäften vergleichsweise gering erscheinen – die allerwenigsten Steuerstrafverfahren mussten bisher wegen Eintritts der absoluten Verjährung eingestellt werden. Anders sieht es jedoch bei den Erweiterungen im Bereich der Einziehung aus. Derjenige, der Vorteile aus einer (vermeintlichen) Steuerhinterziehung erlangt hat, muss nun in weiterem Umfang als bisher damit rechnen, hinterzogene Steuern auch für weit zurückliegende Zeiträume zu erstatten. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanz- und Ermittlungsbehörden verstärkt das Steuerstrafrecht zur Rückgewinnung ansonsten nicht mehr beizutreibender, weil verjährter, Steueransprüche nutzen werden.

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