Gastbeitrag

Adjudikation – Mittel der Wahl in Corona-Zeiten?

Mathias Wittinghofer
Mathias Wittinghofer © Herbert Smith Freehills

_ Die Covid-19-Pandemie hat das Wirtschaftsleben in seinen Grundfesten erschüttert. Wenn Fabriken schließen, Absatzmärkte einbrechen und Branchenriesen vor der Insolvenz gerettet werden müssen, dann reißen Lieferketten, enden Finanzierungszusagen und verlieren geplante Transaktionen ihren Reiz. Einen Streit vor Gericht auszutragen, davor schrecken viele Unternehmen zurück. Denn dies bedeutet nicht nur Aufwand, sondern ein (Schieds-)Gerichtsverfahren greift nicht zuletzt stark in die Beziehung zum Geschäftspartner ein. Eine Lösung kann Alternative Dispute Resolution (ADR) sein – insbesondere die Adjudikation, wie Mathias Wittinghofer, Partner bei Herbert Smith Freehills, erläutert.

Adjudikation ist eine ADR-Methode, die bisher vor allem im Bereich des Baus von Großanlagen und bei Infrastrukturprojekten Anwendung findet. Anders als die andere klassische Methode der echten ADR, die Mediation, setzt die Adjudikation nicht darauf, dass die Parteien mit Hilfe des Mediators eine einvernehmliche Lösung entwickeln, an die sie sich dann freiwillig halten. Stattdessen kommt es bei der Adjudikation durchaus zu einer Entscheidung durch einen Dritten. An diese Entscheidung des Dritten müssen sich die Parteien auch halten – sie ist verbindlich. Aber, und das ist der „Kniff“: Sie ist nur vorläufig verbindlich. Sie kann vor einem Gericht oder Schiedsgericht überprüft werden. Der Rechtsstreit wird so gelöst, und Stillstand wird vermieden. Ob die Entscheidung tatsächlich richtig war, kann später überprüft werden.

Dass diese Art der Streitlösung vor allem im Großanlagenbau bei Infrastrukturprojekten angewendet wird, hängt damit zusammen, dass dort langer Stillstand wegen einer Meinungsverschiedenheit – etwa über die Berechtigung von Mehrvergütung oder über die Reichweite der Verantwortung einzelner Gewerke – das Ende des Projekts bedeuten kann. Deshalb muss eine Entscheidung rasch gefällt werden. Aber auch in anderen Bereichen können sich Situationen ergeben, in denen eine Entscheidung vor allem schnell ergehen muss, selbst wenn sich später erweisen mag, dass sie angreifbar ist.

Fallbeispiele

Zwei Beispiele aus der Praxis verdeutlichen dies: Die Parteien sind ein Hersteller eines Industriedichtungsmittels einerseits und ein Autozulieferer, der das Dichtungsmittel in einem seiner Produkte verwendet, andererseits. Dem Zulieferer ist wichtig, dass die Dichtungsmittel von besonderer Qualität und Güte sind und bestimmten Standards entsprechen. Durch die Corona-Pandemie kann der Hersteller nicht mehr ohne Weiteres die Rohstoffe beziehen, die erforderlich sind, um das Dichtungsmittel zu fertigen. Er ändert daraufhin seine Rezeptur und weicht auf einen insbesondere preiswerteren Ersatzrohstoff aus. Er hat den Ersatz getestet und ist sicher, dass er die vertraglichen Vorgaben einhalten kann.

Der Zulieferer bezweifelt das. Es entsteht ein Streit darum, ob das Dichtungsmittel mit der neuen Rezeptur vertragskonform ist. Beide Seiten beharren auf ihrer Position: Der Hersteller will nicht zu der in der Corona-Zeiten viel teureren ursprünglichen Rezeptur zurückkehren; der Zulieferer nicht durch eine vermeintliche mangelhafte Ware die Geschäftsbeziehung zum Autohersteller gefährden. Beiden drohen Verluste, weil die Lieferkette stillsteht.

Hier kann eine Adjudikation helfen, schnell zu klären, ob die neue Rezeptur den Vorgaben des Vertrags entspricht oder ob der Hersteller in Kauf nehmen muss, dass er auch unter erschwerten Bedingungen die Originalrezeptur verwenden muss. Die zunächst verbindliche Entscheidung des Adjudikators kann dann Stillstand und damit eine Eskalation (insbesondere der Verlust des Automobilherstellers als Kunden allein wegen des Stillstands aufgrund der ungeklärten Situation) vermeiden.

Ein anderer Fall: Die Parteien haben ein Joint Venture-Unternehmen gegründet. Durch die Corona-Krise brechen die Einnahmen des Joint Ventures ein. Es droht Insolvenz. Die Parteien streiten darum, ob und in welchem Maße sie verpflichtet sind, das Joint Venture mit Kapital auszustatten. Solange sie streiten, fließt kein Geld. Das Joint Venture, das eigentlich floriert, wird insolvent, und alle bisherigen Investitionen sind verloren. Hier kann eine Adjudikation klären, wer zunächst und vorläufig welche Mittel zur Verfügung zu stellen hat. Das Joint Venture überlebt, die Investitionen bleiben erhalten. Später kann die Auseinandersetzung darüber, wer tatsächlich welche Mittel stellen muss, in aller Ruhe geführt werden.

Fazit

Wollen Unternehmen in einer solchen Situation zu einer Adjudikation finden, müssen sie sich zunächst vertraglich darauf einigen. Hilfreich ist, sich auf bereits bestehende Verfahrensordnungen für die Adjudikation zu beziehen, wie sie etwa die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) mit der „DIS-Verfahrensordnung für Adjudikation“ oder der „DIS-Schiedsgutachtensordnung“ vorsieht. Diese Regeln sollten allerdings für die jeweiligen Fälle angepasst und die generell vorgesehenen Fristen zum Teil verkürzt werden. Die DIS hilft gegebenenfalls bei der Auswahl des Adjudikators.

Natürlich kostet auch die Adjudikation Geld. Allerdings ist dieses gut investiert, weil die Parteien die Möglichkeit wahren, ihren Streit viel schneller und viel preiswerter beizulegen als in einem regulären Schiedsverfahren – vorausgesetzt, der Spruch des Adjudikators wird nicht angegriffen.

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