Big Data im Fokus der Kartellbehörden

Im vergangenen Jahr prüfte die Europäische Kommission anlässlich des Erwerbs des Karrierenetzwerks LinkedIn durch Microsoft auch mögliche negative Auswirkungen einer Verknüpfung der Nutzerprofile von LinkedIn mit den Daten von Microsoft. Für das im März 2016 durch das Bundeskartellamt gegen Facebook eröffnete Verwaltungsverfahren spielen Daten und deren Sammlung ebenfalls eine bedeutende Rolle. Immer mehr Unternehmen müssen sich die Frage stellen, ob und unter welchen Voraussetzungen große Datenmengen kartellrechtlich relevant sind, sagt Marcel Nuys, Kartellrechtsexperte bei Herbert Smith Freehills Germany.

Die wettbewerblichen Bedenken der Europäischen Kommission im Fusionskontrollverfahren Microsoft/LinkedIn betrafen unter anderem die Kombination der Nutzerdaten von Microsoft und LinkedIn. Ein Zusammenführen der Daten könnte – im Zusammenspiel mit weiteren Maßnahmen – einen marktmächtigen Anbieter entstehen lassen, der den Zutritt von Wettbewerbern erschweren würde. Vor diesem Hintergrund gab die Kommission das Vorhaben im Dezember vergangenen Jahres nur gegen umfangreiche Auflagen frei. Insbesondere sollen Softwareentwickler – mit Zustimmung des Kunden – auf bei Microsoft gespeicherte Nutzerdaten zugreifen können. Hiervon profitiert in erster Linie das konkurrierende Karrierenetzwerk Xing, das sich intensiv an dem Fusionskontrollverfahren beteiligt haben soll. In dem ebenfalls eingangs angesprochenen, noch andauernden Verwaltungsverfahren gegen Facebook soll das Bundeskartellamt vor allem der Frage nachgehen, ob die Nutzung/Sammlung von Daten unter Verstoß gegen nicht kartellrechtliche Vorschriften (etwa solche des Datenschutz- oder Urheberrechts) ein kartellrechtlich relevantes Verhalten darstellen kann.

Daten werden kartellrechtlich immer interessanter
Das skizzierte Interesse der Kartellbehörden ist Teil eines Prozesses, der unter dem Schlagwort „Big Data““ diskutiert wird. Umschrieben wird damit die Entwicklung neuer Verfahren zur Speicherung, schnellen Auswertung und Weiterverwendung großer und komplexer Datenmengen. In Folge dieses technologischen Fortschritts entstehen neue, (teilweise) rein datenbasierte Geschäftsmodelle. Bei diesen steht üblicherweise nicht der Handel mit oder die Kommerzialisierung von Daten im Vordergrund. Vielmehr werden Daten genutzt, um bestehende Angebote zu verbessern und/oder völlig neuartige Leistungen zu kreieren (Angebote wie Snapchat oder Tinder stehen exemplarisch hierfür). Ihre Relevanz beschränkt sich dabei keineswegs auf die digitale Ökonomie. Auch in vielen traditionellen „analogen Industrien““ hat die Auswertung und Nutzung von Daten massiv an Bedeutung gewonnen, zum Beispiel in der Automobilindustrie, wo an einer vollständigen Vernetzung gearbeitet wird.

Angesichts dieser wirtschaftlichen Bedeutung werden Daten – die „Sonnenstrahlen““ der digitalen Welt – auch zukünftig in vielerlei Hinsicht das Interesse der Kartellbehörden wecken. Dies zeigt sich auch daran, dass im Zuge der Novellierung des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) der Kanon für Kriterien zur Bestimmung möglicher Marktmacht eines Unternehmens erweitert wird. Mit Inkrafttreten der 9.GWB-Novelle (voraussichtlich im Mai dieses Jahres) wird der „Zugang zu Daten““ ausdrückliches Kriterium für die Beantwortung der Frage sein, ob ein Unternehmen marktmächtig ist (siehe auch S. 7).

Unsichere Zeiten für Firmen
Obschon keine Zweifel daran bestehen, dass Daten von erheblicher kartellrechtlicher Bedeutung bleiben werden, ist völlig offen, welche Lehren Unternehmen hieraus zu ziehen haben. Denn es fehlt weitestgehend an einer etablierten Entscheidungspraxis, die Unternehmen als Richtschnur in Bezug auf Daten dienen könnte. Exemplarisch lässt sich dies an zwei Problemkreisen skizzieren: Weitestgehend unklar – aber für weite Teile des deutschen und europäischen Kartellrechts essentiell – ist die Antwort auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen Daten Marktmacht vermitteln (können). Die Begründung zur 9. GWB-Novelle ist insoweit jedenfalls wenig erhellend. Da Daten in unaufbereiteter Form und ohne tragfähiges Geschäftsmodell ohne jeglichen (wirtschaftlichen) Wert sind, begründet nach Auffassung des Verfassers der Zugang zu Daten jedenfalls nicht per se Marktmacht. Vielmehr muss einzelfallbezogen das Zusammenspiel zwischen 1) Datenmenge, Qualität und Verfügbarkeit sowie 2) den Analysefähigkeiten und Monetarisierungsmöglichkeiten des sammelnden Unternehmens gewürdigt werden. Ob die Kartellbehörden diesem richtigen Ansatz folgen werden, wird sich zeigen.

Eine andere Frage, die insbesondere für das Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes besondere Bedeutung erlangen dürfte, ist, ob eine Datensammlung unter Verstoß gegen nicht-kartellrechtliche Regelungen (etwa solche des Datenschutz- oder Urheberechts) mit Mitteln des GWB unterbunden werden kann. Dogmatisch bestehen erhebliche Bedenken gegen eine solche Ausweitung des scharfen Schwertes des Kartellrechts zur Bekämpfung unwillkommener Folgen der Digitalisierung. Gleichwohl scheint es so zu sein, dass das Bundeskartellamt zukünftig auch Verstöße gegen primär verbraucherschutzrechtliche Vorschriften mit Mitteln des GWB untersagen will. Bis auf Weiteres stellt die Behandlung von Daten durch Kartellbehörden für Unternehmen daher eine „Black Box““ dar. Sie sind in höchstem Maße auf eine kartellrechtliche Selbsteinschätzung angewiesen und sollten besondere Vorsicht in Bezug auf Daten walten lassen.

 

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