Sanierung auf dem Rücken der Gläubiger?
Durch den so genannten präventiven Restrukturierungsrahmen soll es Unternehmen ermöglicht werden, sich frühzeitig wirksam und im Hinblick auf die Vermeidung ihrer Insolvenz zu restrukturieren, um so die unnötige Liquidation bestandsfähiger Unternehmen zu vermeiden und dem Aufbau notleidender Kredite bei den Banken vorzubeugen (s. a. PLATOW Recht v. 20.3.19). Doch die Kehrseite der Medaille sei ein erheblicher Eingriff in die Gläubigerrechte, meint Jens Weber, Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer bei Baker Tilly.
Der präventive Restrukturierungsrahmen eröffnet dem Schuldner die Möglichkeit, sich schon vor der eigentlichen Insolvenz zu restrukturieren. Dies wird hoffentlich dazu führen, dass notwendige Restrukturierungen früher und damit rechtzeitig angegangen werden. Dem Schuldner werden bereits vor der Insolvenz Rechte gegeben, die derzeit i. d. R. ein Insolvenzverwalter erst in der Insolvenz ausüben kann. Diese Rechte geben dem Schuldner insbesondere die Möglichkeit, Gläubigerrechte zu suspendieren – also deren Vollstreckung über ein Moratorium zu verhindern – oder trotz eines Moratoriums die Weiterbelieferung durch Lieferanten zu verlangen. Die erleichterte Restrukturierung des schuldnerischen Unternehmens außerhalb der Insolvenz wird also auch dadurch ermöglicht, dass in Gläubigerrechte eingegriffen wird.
Funktion des Moratoriums
In der Krise des Unternehmens soll es möglich sein, die Vollstreckung einzelner Forderungen durch einzelne Gläubiger oder durch ganze Gruppen von Gläubigern für einen Zeitraum von zunächst vier bis zu 12 Monaten durch das Gericht aussetzen zu lassen – ein so genanntes Moratorium. Dies gilt nicht, wenn die Aussetzung nicht notwendig ist, um einen Restrukturierungsplan auszuhandeln, z. B. wenn keine Sanierungsaussicht besteht. Über den Restrukturierungsplan sollen, vergleichbar einem Insolvenzplan, die Schulden des Unternehmens nach Höhe und Fälligkeit neu geregelt werden.
Was heißt das nun für die Gläubiger? In Frage stand zunächst, dass die Aussetzung der Vollstreckung nur für Forderungen von Finanzgläubigern möglich sein sollte. Die Richtlinie betrifft jedoch auch die Aussetzung der Vollstreckung von Forderungen gerade von für den Betrieb relevanter Lieferanten und Dienstleister. Dies bedeutet, dass der Schuldner einzelne oder Gruppen von Forderungen auch unterschiedlicher Gläubiger nach Aussetzung der Vollstreckung nicht bezahlen muss, wenn die Forderungen vor der Aussetzung der Vollziehung entstanden sind. Forderungen, die im Laufe des Restrukturierungsverfahrens entstehen, kann und muss der Schuldner dagegen bezahlen. Umgekehrt dürfen Gläubiger, deren Forderungen von der Vollziehung ausgesetzt sind, die Schuldverhältnisse, aus deren Erfüllung die Forderungen entstanden sind, nicht kündigen oder im Übrigen abändern, nur weil die Vollstreckung von Forderungen ausgesetzt ist.
Pflicht zur Weiterbelieferung
Weitergehend sind Klauseln in Verträgen nach der Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen unzulässig, wenn sie eine Änderung des Vertrages (z. B. eine Kündigung) insbesondere für den Fall des Antrags auf Eröffnung des Verfahrens oder des Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung vorsehen. Diese Regelung geht über den Wortlaut der derzeit für den Fall der Insolvenz in Deutschland vorgesehenen Regelung des § 119 InsO hinaus. In dieser Regelung ist beispielsweise die Kündigung des Vertrages für den Fall der Stellung des Insolvenzantrags nicht explizit ausgeschlossen (insolvenzabhängige Klausel). Entsprechend ist die Kündigung eines Werkvertrags nach der Klausel mit dem Inhalt der Sondervorschrift des § 8 Abs. 2 VOB/B zulässig, auch wenn die Klausel die Stellung eines Insolvenzantrags voraussetzt. § 119 InsO erfasst § 8 Abs. 2 VOB/B also nicht. Für andere Fälle weitet die deutsche Rechtsprechung die Anwendung des § 119 InsO über den Wortlaut hinaus jedoch auf andere so genannte insolvenzabhängige Klauseln aus, so dass es z. B. unzulässig ist, die Kündigung beispielsweise eines Mietvertrags, an die Stellung eines Insolvenzantrags zu knüpfen. Möglich ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) jedoch die Kündigung eines Vertrags bei Verzug oder bei Vermögensverschlechterung (insolvenz-unabhängige Klauseln).
Insolvenzabhängige Klauseln, wie die Regelung des § 8 Abs. 2 VOB/B, würden für den Fall des Antrags der Eröffnung des präventiven Restrukturierungsrahmens nicht zulässig sein. Da der Schuldner mit Forderungen, deren Vollstreckung ausgesetzt sind, auch immer im Verzug ist und mit der Aussetzung der Vollstreckung auch immer eine Vermögensverschlechterung dokumentiert ist, bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber in Deutschland mit der Umsetzung der Richtlinie nicht auch die Anwendung insolvenzunabhängiger Lösungsklauseln mit einschränkt.
Fazit
Insgesamt werden Unternehmens-, Finanz- und Warenkreditgläubiger mit Einführung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen mit einer verstärkten Einbindung in die Sanierung von angeschlagenen Unternehmen außerhalb der Insolvenz zu rechnen haben. Dies mag ihre Beiträge in der vorinsolvenzlichen Sanierung erhöhen. Abzuwarten bleibt jedoch, ob dies durch geringere Ausfälle in Insolvenzverfahren überkompensiert wird.
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