Gastbeitrag

Nachhaltigkeit – Neue Pflichten für Unternehmen

Christoph H. Seibt
Christoph H. Seibt © Freshfields Bruckhaus Deringer

_ Am 21.4.21 hat die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, mit dem zum 1.1.23 (bzw. für KMU ab 1.1.26) die bisherige nichtfinanzielle (CSR-)Berichterstattung durch eine erweiterte Nachhaltigkeitsberichtserstattung (Corporate Sustainability Reporting) abgelöst werden soll, die sich stark an den Regeln zur Finanzberichterstattung orientiert. Wie das konkret aussehen soll, weiß Christoph H. Seibt, Partner der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer und Honorarprofessor an der Bucerius Law School.

Bei den Plänen der EU-Kommission geht es nicht nur (vordergründig) um technische Änderungen bei den Berichterstattungspflichten, sondern vielmehr um eine mittelbare Readjustierung der Unternehmensleitung hin zu einer „Sustainability Transformation“, die alle Bereiche der Geschäftsführung umfasst: Produktangebot, Geschäftspartnerbeziehungen, Investitionskriterien, Konzern-, Führungs-, Risikomanagement- und Informationsstrukturen, Finanzierung und Führungskräftevergütung. Diese Transformation sollte durch einen holistischen Strategieüberprüfungsprozess (Strategic Review) unter Einbindung der relevanten Interessenträger des Unternehmens eingeleitet werden. Unternehmen sollten bereits jetzt mit Hinblick auf diesen Richtlinienvorschlag, aber vor allem auch wegen der drängenden Forderungen von Inves-toren, Finanzgebern und NGOs – Risiko von sog. ESG-Klagen, wie im kürzlich vom Bezirksgericht Den Haag entschiedenen Shell-Fall –, mit diesem Strategic Review starten.

Reform im Schatten des European Green Deal

Politischer Hintergrund der avisierten Nachhaltigkeitsberichterstattung ist der „European Green Deal“ (also die Transformation der EU-Wirtschaft zu Netto-Null-Emissionen bis 2050) und der „Sustainable Finance Action Plan“, d. h. die Umleitung von Kapitalströmen in nachhaltige Geschäftsmodelle. Diese Zielerreichung setzt eine Kenntnis der Stakeholder von den jeweiligen Nachhaltigkeitsstrategien der Unternehmen mit den sich hieraus ergebenden Risiken und Chancen voraus. Dies wiederum erfordert detaillierte, verlässliche, vergleichbare und digital nutzbare Daten, und zwar primär für zwei Adressatenkreise: Investoren einerseits und NGOs sowie Sozialpartner andererseits, deren Arbeit auf ausdrücklichen Wunsch der EU-Kommission erleichtert werden soll, Unternehmen für nicht-nachhaltige Geschäftstätigkeit „verantwortlich“ zu machen.

Die nach Analyse der EU-Kommission bestehenden Defizite der bisherigen nichtfinanziellen Berichterstattung sollen durch eine umfassende Reform bewältigt werden. Der sachliche Anwendungsbereich der neuen Berichtspflichten soll zunächst auf alle kapitalmarktorientierten Unternehmen und Finanzinstitute unabhängig von ihrer Größe (Ausnahme: Mikro-Unternehmen) sowie große nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen, die mind. zwei der drei Kriterien (i) Bilanzsumme von 20 Mio. Euro, (ii) Umsatzerlöse von 40 Mio. Euro und (iii) 250 Arbeitnehmer erfüllen, erweitert werden (damit steigt die Zahl der betroffenen deutschen Unternehmen um den Faktor 10).

Ferner wird die Berichterstattung inhaltlich deutlich ausgeweitet. Es gilt hierbei das Prinzip der doppelten Materialität, wonach einerseits über die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsthemen auf den Geschäftsverlauf, die Lage und das Ergebnis des Unternehmens zu berichten ist („outside-in“-Perspektive), andererseits über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Gesellschaft und Umwelt („inside-out“-Perspektive). Im Einzelnen ist vor allem über die Nachhaltigkeitsstrategie, die unter Berücksichtigung der Stakeholder-Interessen entwickelt werden soll (!), sowie über spezifische Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) zu berichten, wie Klimaschutz, Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft, Arbeitsbedingungen und Einhaltung von Menschenrechten, Geschäftsethik und Unternehmenskultur, Vermeidung von Korruption und Bestechung, Lobbying sowie Beziehungen zu Geschäftspartnern. Bei Unternehmen von öffentlichem Interesse ist auch eine Beschreibung ihrer Diversitätspolitik (u. a. zu Gender) zwingend gefordert.

Konkrete Vorgaben für Berichterstattung

Eine weitere inhaltliche Präzisierung der Berichtspflichten wird durch die Veröffentlichung separater Sustainability Reporting Standards (zunächst mit allgemeiner Reichweite, danach mit branchenspezifischer Ausrichtung) erfolgen, die durch die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) bis 1.10.22 technisch vorbereitet wird (erste EFRAG-Richtlinien wurden im März 2021 veröffentlicht). Das einzig zulässige Berichtsformat wird künftig der Lagebericht sein, entweder als gesonderter Abschnitt dort oder in Form einer Vollintegration. Eine Erhöhung der Verlässlichkeit der Nachhaltigkeitsberichterstattung (und damit gleichzeitig der Haftungsrisiken!) wird durch eine Prüfungspflicht (i. d. R., aber nicht zwingend, durch den Abschlussprüfer) mit zunächst begrenzter Prüfungssicherheit (limited assurance), die Ausweitung des sog. Bilanzeids auf diesen Berichtsteil, die Einbeziehung des Aufsichtsrates bzw. Prüfungsausschusses in die Prüfung und die Ausdehnung des Enforcement-Systems sowie des Sanktionsregimes (mit „Naming und Shaming“-Veröffentlichung und Verwaltungsgeldstrafen) erreicht.

Das Vorhaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung scheint auf den ersten Blick von technisch-untergeordneter Bedeutung zu sein – das Gegenteil ist richtig: Es ist bedeutsamer Treiber der Sustainability Transformation und wird mittelbar alle Geschäftsfelder der Unternehmen betreffen.

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