Schuldscheine – Bremse im Restrukturierungsprozess

Schuldscheindarlehen sind einer der großen Finanzierungstrends der vergangenen Jahre und werden – wie jüngst Carillion und Steinhoff zeigen – zukünftig auch Restrukturierungen prägen. Hier zeigt sich: die für Schuldscheindarlehen typischen Merkmale der leichten Übertragbarkeit und des Fehlens von konsortialen Bindungen über Mehrheitsentscheidungen können in der Krise zur echten Herausforderung werden. Wo die Schwierigkeiten im Falle einer finanziellen Schieflage liegen, erläutert Franz Bernhard Herding, Partner der Sozietät Allen & Overy.

Immer mehr Unternehmen öffnen sich für diese Finanzierungsform, auch nicht-deutsche und kleinere Unternehmen, nicht alle im Investment-Grade-Bereich oder mit robusten Geschäftsmodellen. Doch gerade was die Schuldscheindarlehen als Mittel der Finanzierung aus Sicht eines Unternehmens attraktiv erscheinen lässt, kann sich im Fall einer Krise in anderem Lichte zeigen: die schlichte bilaterale Struktur, die jedem Schuldscheindarlehensgeber ein individuelles Entscheidungsrecht über Kündigung und Fälligstellung gibt, und somit keine Konsortialregelungen mit Mehrheitsbindung oder Übertragungsbeschränkungen kennt, kann unkontrollierbare Einzelgänge oder eine Trittbrettfahrermentalität befördern.

Natürlich gilt es stets, durch die Entwicklung eines schlüssigen Sanierungskonzepts die Beteiligten entsprechend ihrer jeweiligen Risikoposition einzubinden und dadurch das Obstruktionspotenzial Einzelner im Sinne einer nachträglichen kollektiven Bindung einzuhegen. Ohnehin ist nahezu jede out-of-court-Restrukturierung bei den zentralen Weichenstellungen auf die Zustimmung aller Darlehensgeber angewiesen. Dennoch – die charakterischen Merkmale eines Schuldscheindarlehens zeichnen es als klassisches Investment-Grade-Produkt aus und sollten Emittenten mit anspruchsvollen Planungszielen oder ohnehin hohem Fremdverschuldungsanteil zum Nachdenken anregen. Die kapitalmarktnahe Struktur eines Schuldscheindarlehens ermöglicht einen leichteren und schnelleren Einstieg alternativer Investoren und aus dem oft gegebenen individuellen Zustimmungsrecht für jede „kleine Verzichtsanfrage““ erwächst eine enorme Blockademacht – umso mehr, wenn (Dritt-)Sicherheiten im Spiel sind.

Für den Fortgang einer Restrukturierung wird es zur „Bremse““, wenn disziplinierende oder die Blockade auflösende Alternativen nicht bestehen oder sich als zahnlos erweisen. Allein der Verweis darauf, dass die Insolvenz für alle das Worst-Case-Szenario darstellt, hilft nicht, wenn einzelne Finanzgläubiger sich an der Restrukturierung schlicht nicht beteiligen (typisches Problem bei (Retail-)Anleihegläubigern) oder es ein besonderes Blockadepotenzial gibt. In den vergangenen Jahren konnte für einige deutsche Restrukturierungen über das englische Scheme of Arrangement eine Lösung gefunden werden (so bei Rodenstock, Primacom oder Apcoa).

Deutscher Gesetzgeber sollte nachbessern

Aktuell gibt es in Deutschland außerhalb der Insolvenz keine Möglichkeit eines solchen „Cram-down-Verfahrens““. Das im Jahr 2009 grundsätzlich reformierte Schuldverschreibungsgesetz ist auf Schuldscheindarlehen nicht anwendbar. Mehrheitsentscheidungen auch gegen obstruierende Schuldscheindarlehensgeber im Wege eines Insolvenzplanverfahrens durchzusetzen, mag im Einzelfall eine Lösung darstellen. Gut vorbereitete Planverfahren, z. B. in Form eines Schutzschirmverfahrens, sind allerdings anspruchsvoll, bergen stets das Destabilisierungspotenzial einer Insolvenz und setzen für jede (bspw. als Drittsicherheitengeber oder Garant) einzubeziehende Gruppengesellschaft ein eigenes Insolvenzplanverfahren voraus. Letzteres wird auch durch das jüngst eingeführte Konzerninsolvenzrecht nicht anders, wenngleich hierdurch die Chancen auf Erreichung abgestimmter Lösungen durch die erleichterte wechselseitige Kooperation der Beteiligten nicht unwesentlich verbessert werden.

In Zukunft wird es voraussichtlich auch in Deutschland einen vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen mit neuen Möglichkeiten geben. Dieser wird derzeit in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene vorbereitet und – so ist zu hören – könnte noch vor der Europawahl im nächsten Jahr durch eine europäische Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren angestoßen werden.

Zuständigkeiten oft nicht eindeutig

Demgegenüber bietet das Scheme of Arrangement bereits heute auf Vertragsebene (d. h. außerhalb einer Insolvenz) die Möglichkeit, Mehrheitsentscheidungen im Interesse einer Sanierungslösung durch eine gerichtliche Entscheidung durchzusetzen. Der Weg zu den englischen Gerichten ist schon bei ausreichender Beziehung zu England eröffnet. Typischerweise sehen Schuldscheindarlehen jedoch als anwendbares Recht deutsches Recht sowie eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte vor. Der auf Grundlage einiger englischer Gerichtsurteile eventuell ebenfalls denkbare Weg über eine Verfahrenskonzentration nach Art. 8 EuGVVO könnte bei Vorliegen einer ausschließlichen Gerichtsstandswahl zugunsten der deutschen Gerichte mit Art. 25 EuGVVO in Widerspruch stehen. Ob diese Fragen im Falle des Brexit und damit dem Ende der Geltung der EuGVVO im Cross-Border-Kontext einfacher werden, kann bezweifelt werden. In „Premier Oil““ hat man sich letztlich außerhalb eines Scheme of Arrangement einvernehmlich geeinigt – aber dies lässt für andere Fälle aufhorchen.

 

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