EU sagt Lohn- und Sozialdumping den Kampf an

Arbeitnehmer in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu schicken, ist für Unternehmen bislang unproblematisch. Mit Blick auf Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit für Unternehmen kennt das EU-Recht keine strengen Limitierungen, etwa im Sinne erforderlicher Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse. Doch sowohl von europäischer, als auch nationalstaatlicher Seite droht zunehmend Ungemach. Katharina Vorländer und Andreas Meier, Rechtsanwälte für Migrationsrecht bei Fragomen, nehmen die Pläne unter die Lupe.

Hintergrund ist die jüngst im EU-Parlament beschlossene Novellierung der EU-Entsenderichtlinie, die voraussichtlich ab 2021 die Beschäftigung von Mitarbeitern im Ausland empfindlich einschränken wird. Zum einen soll die Entsendung künftig auf zwölf Monate limitiert werden, mit der Möglichkeit der Verlängerung auf 18 Monate. Zum anderen kommen umfangreiche Regelungen zu Mindestentgelten auf entsendende Arbeitgeber zu. Während bisher die arbeitsvertraglichen Grundlagen entsandter Mitarbeiter auch im Entsendungsland gelten, sollen künftig für entsandte Arbeitnehmer europaweit die gleichen Lohnbedingungen wie für einheimische Arbeitnehmer gelten. Das Ziel: Lohn- und Sozialdumping vermeiden.

Grundsätzlich erlaubt die Dienstleistungsfreiheit das Nutzen komparativer Kostenvorteile. Im Streben der EU-Kommission nach mehr Mitarbeiterschutz scheint Brüssel aber nun deutlich über das Ziel hinauszuschießen. Nicht nur, dass die Entsendung zunächst einmal teurer und damit auch die Beschäftigung entsandter Mitarbeiter unattraktiver wird. Vor allem der drohende Bürokratieaufwand lässt zurückschrecken. Hochproblematisch wird dabei u. a. der Abgleich der Lohnniveaus zwischen Herkunfts- und Entsendungsland. Unternehmen müssen nachweisen, dass ihr Mitarbeiter gemäß Arbeitsvertrag mindestens vergleichbare Rahmenbedingungen erhält, wie Mitarbeiter im Entsendungsland.

Wir jedoch leben in einer Welt hochkomplexer Tarifsysteme, Regelungen zwischen verschiedenen Branchen und Betrieben sind kaum vergleichbar. Über Ländergrenzen hinweg wird es daher extrem aufwändig, die richtigen Vergleichsmaßstäbe zu finden. In einigen Staaten sind z. B. 13 oder 14 Monatsgehälter üblich. Hinzu kommen spezifische Zuwendungen wie Fahrtkostenzuschläge, die in einigen Unternehmen gewährt werden, in anderen nicht. Das macht die Erfassung und Umrechnung der Arbeitsbedingungen zwischen den Mitglied-staaten äußerst schwierig, wenn nicht sogar fast unmöglich.

Drakonische Strafen drohen

Wir können deshalb stark davon ausgehen, dass viele Unternehmen zwar weiterhin Mitarbeiter entsenden werden, im Zweifelsfall aber eben nicht mehr rechtskonform. Für das komplexe System sind bei zwei Ländern, zwischen denen Entsendungsbeziehungen bestehen, fast schon zwei Personalabteilungen nötig, die die jeweiligen Entgeltverträge zwischen den beiden Ländern vergleichen können. Unternehmen, die nicht in der Lage sind, das zu leisten, werden den Nachweis über die richtig eingestufte Tarifkategorie ihres Mitarbeiters im Zuge der Entsendung nur unzureichend erbringen können.

Die Folgen können schwerwiegend sein. Zunächst drohen finanzielle Sanktionen: Bei einem Erstverstoß werden rd. 1 000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 100 000 Euro, in manchen Ländern sogar bis 900 000 Euro fällig. Schlimmer noch: Die Unternehmen können von der Erteilung öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.

Staaten höhlen Dienstleistungsfreiheit aus

Die novellierte Entsenderichtlinie wird Unternehmen das Leben also schwerer machen. Mit dem zunehmenden Drang einiger EU-Mitgliedsländer zur indirekten Abschottung ihrer Arbeitsmärkte werden Unternehmen aber bereits seit einiger Zeit Steine in den Entsendungsweg gelegt. Etliche Jurisdik-tionen machen heute schon von komplexen Anmeldeverpflichtungen, verbunden mit der Einreichung zahlreicher Dokumente und anderen bürokratischen Anforderungen, Gebrauch.

Österreich setzt hier beispielsweise auf ein teilweise recht umfangreiches Online-Verfahren. In Frankreich wiederum lässt sich die verantwortliche Zentralbehörde einen konkreten Ansprechpartner innerhalb der Führungsebene nennen, der immer dann kontaktiert wird, wenn die spezifischen Verpflichtungen nicht eingehalten werden. Damit gehen hohe Compliance-Anforderungen einher und das Management ist verpflichtet, einen organisatorischen Unterbau zu schaffen, um den Behörden glaubhaft darzustellen, dass man den Rahmenbedingungen gerecht wird.

Insgesamt verwundert es daher nicht, dass kritische Stimmen aus der Wirtschaft lauter werden, ganz zu schweigen von den Gegenbewegungen etlicher Länder Osteuropas, die bislang vom günstigeren Lohnniveau profitiert haben. Allein durch diese Initiativen ist noch viel Bewegung im Spiel, was den gesetzlichen Rahmen für die EU-Mitarbeiterentsendung betrifft. Unternehmen sollten die Entwicklungen, gerade auch auf nationalstaatlicher Ebene, intensiv beobachten und prüfen, in welchen Märkten sie aktiv sind und welche Mitarbeiter sie in welchem Maße dorthin entsenden. Genau das ist in vielen Organisationen noch immer eine Art „Black Box““. Wir brauchen dringend eine Professionalisierung des Entsendewesens. Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen könnten hier den notwendigen Anstoß bieten.

 

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