Dienstfahrten – Wenn Reisezeit zur Arbeitszeit wird

Die Vergütung von Reisezeiten ist seit dem aufsehenerregenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 17.10.18 (Az.: 5 AZR 553/17) in aller Munde. Das BAG hatte im Fall eines Arbeitnehmers dessen Reisezeiten im Rahmen einer Entsendung nach China als vergütungspflichtig eingestuft. Auch wenn die Urteilsbegründung noch nicht vorliegt und deshalb auch noch nicht klar ersichtlich ist, auf welche Anspruchsgrundlage das BAG den Vergütungsanspruch stützt, sind Arbeitgeber gut beraten, die bestehenden vertraglichen Regelungen unter die Lupe zu nehmen. Benjamin Onnis, Arbeitsrechtler der Kanzlei FPS, stellt die bestehende Rechtslage vor.

In der rechtlichen Literatur wird Reisezeit wie folgt definiert: „Reisezeit ist die Zeit, welche der Arbeitnehmer benötigt, um aus dienstlichen Gründen zu einem vom Arbeitgeber bestimmten Arbeitsort außerhalb der Gemeindegrenze des Betriebs zu gelangen.“ Diese weit verbreitete Ansicht überzeugt allerdings nicht. Es ist vollkommen beliebig, dass auf die Gemeindegrenze abgestellt wird. Denn es leuchtet nicht ein, warum Reisezeiten innerhalb einer Gemeinde keine Dienstreise darstellen sollen. Reisezeiten sind somit unabhängig von den Gemeindegrenzen des Betriebs zu definieren.

Überzeugen kann dagegen die Abgrenzung zur Wegezeit. Unter Wegezeit wird die Zeit verstanden, die der Arbeitnehmer für die An- und Abfahrt von seinem Wohnsitz zum Betrieb des Arbeitgebers aufwenden muss. Die Wegezeit ist also keine Dienstreise und wird grundsätzlich auch nicht vergütet.

Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes

Das Arbeitszeitgesetz soll die Arbeitnehmer vor übermäßiger Arbeitsbelastung schützen. Das Arbeitszeitgesetz schützt allerdings nicht die persönliche Freizeitgestaltung. Es wird hier also nur geprüft, ob der Arbeitnehmer durch die Reisezeiten belastet wird und nicht, ob er die Reisezeit für sich selbst persönlich sinnvoll nutzen kann. Daher gelten die Zeiten einer Dienstreise nicht als Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber lediglich die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels vorgibt und es dem Arbeitnehmer überlassen bleibt, wie er die Zeit nutzt. Er kann sich hier nämlich theoretisch erholen, in dem er z. B im Zug ein Nickerchen hält oder Zeitung liest.

Etwas anderes gilt natürlich, wenn der Arbeitnehmer angewiesen wurde, Arbeitsleistungen während der Dienstreise zu verrichten. Dies ist dann der Fall, wenn er im Zug beispielsweise E-Mails beantworten soll oder Telefongespräche für den Arbeitgeber führen muss. Nicht eindeutig ist die Rechtslage, wenn der Arbeitnehmer ein Fahrzeug selbst nutzt. Denn bei einer Autofahrt wird grundsätzlich angenommen, dass hierdurch eine körperliche Belastung des Arbeitnehmers entsteht.

Vergütungspflichtige Arbeitszeit

Die Vergütungspflicht der Reisezeiten ist grundsätzlich abhängig von den vertraglichen Regelungen. Reisezeiten während der regulären Arbeitszeit sind selbstverständlich immer als Arbeitszeit zu vergüten. Denn der Arbeitgeber konkretisiert hier durch die Anweisung der Dienstreise die geschuldete Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Interessant wird es, wenn Überstunden aus Reisezeiten bestehen. Pech haben bereits diejenigen Arbeitnehmer, die sowieso keine Überstundenvergütung verlangen können. Dies wird grundsätzlich bei Arbeitnehmern mit einem Entgelt über der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung angenommen.

Fehlt eine vertragliche Regelung, wird eine Vergütungspflicht jedenfalls bei den Arbeitnehmern bejaht, bei denen das Reisen eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis darstellt. Entscheidend ist also das Berufsbild – das gilt z. B. bei Außendienstmitarbeitern. Hintergrund ist, dass eine Vergütung von Reisezeiten dann üblicherweise erwartet werden kann, wenn sie ohnehin eine Arbeitsleistung darstellen. Wenn im Gegenzug Reisezeiten nicht typischerweise Teil der Arbeitsleistung sind, wie beispielsweise im Innendienst, dann ist fraglich, ob eine Vergütung dieser Reisezeiten erwartet werden kann. Insbesondere wird hierzu auch die neue BAG-Entscheidung auszuwerten sein.

Vertragliche Regelungen

Auf Grund dieser rechtlichen Unwägbarkeiten ist es dringend zu empfehlen, die Vergütung von Reisezeiten genauestens zu regeln. Allgemeine Regelungen in den Arbeitsverträgen hinsichtlich aller zukünftiger Reisen sind aber eher schwierig. Es besteht dann das Risiko, dass auf Grund einer AGB-Kontrolle die vertraglichen Regelungen unwirksam sind. Die besten Karten hat der Arbeitgeber hier, wenn man konkrete Entsendungsverträge mit dem Arbeitnehmer hinsichtlich bestimmter Reisen abschließt. Entsendungsverträge werden üblicherweise nur bei längeren Auslandsaufenthalten abgeschlossen und sind selbstverständlich mit einem gewissen Aufwand verbunden. Arbeitgeber müssen also entscheiden, ob sich diese erhöhte Bürokratie im Einzelfall lohnt.

Wenn das BAG nun die Ansicht vertritt, dass bei einer Dienstreise von Deutschland nach China ein Arbeitgeber die Vergütung der Reisezeit erwarten kann, wird man jedenfalls durch einen Vertrag eine solche Vergütung nicht völlig ausschließen können. Hier ist allerdings die Urteilsbegründung noch abzuwarten. Es sollte allerdings aus Arbeitgebersicht möglich bleiben, die Vergütung des Arbeitnehmers bei solchen Reisezeiten zu verringern. Vertragliche Regelungen der Reisezeiten bleiben daher wahrscheinlich auch nach der BAG-Entscheidung im großen Interesse des Arbeitgebers.

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