EU-Verbraucherverbandsklage – Attraktive Alternative zur deutschen Musterfeststellungsklage?
Seit dem Frühjahr 2018 überschlagen sich die Ereignisse beim kollektiven Rechtsschutz: Erst kündigte die Bundesregierung im März die Einführung einer Musterfeststellungsklage an, dann preschte die EU-Kommission im April mit einem Vorschlag für eine Verbraucherverbandsklage vor. Der Dieselskandal hat die Politik unter Druck gesetzt, die europäischen Verbraucherschützer schauen neidvoll auf die großzügigen Abfindungen an Dieselkäufer in den USA.
Während die im November 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage schon ihren ersten Praxistest gegen Volkswagen absolviert, mahlen die Mühlen des EU-Gesetzgebers langsamer. Eine erste Hürde ist jedoch bereits genommen: Anfang Dezember hat der Rechtsausschuss des EU-Parlaments die Einführung einer Verbraucherverbandsklage befürwortet.
„Der weitere Gesetzgebungsprozess und die anschließende Umsetzung der Richtlinie ins nationales Recht werden zeigen, ob die deutsche Musterfeststellungsklage schon bald durch die weiter gehenden EU-Pläne überholt wird“, so Rupert Bellinghausen, Partner der Kanzlei Linklaters und Leiter der deutschen Praxisgruppe Dispute Resolution. Vor allem die Zielrichtung der Verbraucherverbandsklage sei aus Verbrauchersicht attraktiver: „Der Verband kann sofort auf Schadensersatz für alle Verbraucher klagen. Bei der Musterfeststellungsklage geht es dagegen zunächst nur um die Feststellung verallgemeinerungsfähiger Teilfragen“, erläutert Bellinghausen. „Falls es im Anschluss nicht zu einem Vergleich kommt, muss noch jeder Verbraucher selbst und alleine auf Schadensersatz klagen, um die Einzelfallaspekte gerichtlich klären zu lassen.“
Kritiker der EU-Pläne verweisen gerade auf diesen Unterschied: Das beklagte Unternehmen müsse nach europäischer Rechtstradition die Möglichkeit haben, unberechtigte von berechtigten Einzelfällen zu trennen. Das Gegenargument lautet, in vielen Fällen genüge eine Einteilung in wenige Fallgruppen, um jeden betroffenen Verbraucher möglichst schnell zu entschädigen. Der Rechtsauschuss des EU-Parlaments hat dieses Grundkonzept akzeptiert, aber andere Bedenken der Industrie aufgegriffen: So soll die unterlegene Partei die Kosten der obsiegenden Partei tragen, damit Missbrauch vermieden wird. Strafschadensersatz wie in den USA soll es ebenso wenig geben wie parallele Sammelklagen in derselben Sache.
„Dagegen bleibt es den Mitgliedstaaten nach dem Richtlinienvorschlag überlassen, ob die Verbraucherverbände sogar ohne Mandat der betroffenen Verbraucher klagen können“, so Bellinghausen weiter. Im Gesetzgebungsverfahren dürfte dies sowie die geplante Einführung eines Zwangs zur Herausgabe belastender Dokumente noch kontrovers diskutiert werden. „Die EU-Verbraucherverbandsklage wird aber kommen,“ glaubt der erfahrene Schiedsrichter. Im Wettbewerb der Konzepte wird sich zeigen, welche der mindestens drei Optionen die Verbraucher wählen: eine schnelle Musterfeststellung in der Hoffnung, dass es anschließend ohne separate Einzelfallklage zu einem Vergleich kommt; eine EU-Verbandsklage auf Schadensersatz für alle; oder ein Abtretungsmodell mit dem ressourcenstarken Trio aus Onlineplattform, Klägerkanzlei und Prozessfinanzierer, das im Erfolgsfall jedoch eine saftige Provision verlangt.
ARTIKEL DIESER AUSGABE
Marktmissbrauch – Weniger Rechtssicherheit, mehr Bürokratie
Die EU-Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) stellt seit Juli 2016 neue Anforderungen an die Kapitalmarkt-Compliance börsennotierter Unternehmen. Betroffen hiervon sind insbesondere die Ad-hoc-Veröffentlichungspflichten,... mehr
Henkel geht mit Simmons und Latham neue Wege am Kapitalmarkt
Der Konsumgüterkonzern Henkel hat als erstes Unternehmen in Deutschland eine Vereinbarung über einen so genannten Green Loan abgeschlossen. Für die rechtlichen Fragen dieser finanziellen... mehr
Pfizer schmiedet mit Clifford Chance milliardenschweres Joint Venture
Die Pharmaunternehmen Pfizer und GlaxoSmithKline (GSK) legen ihre Consumer-Healthcare-Sparten zusammen. Das neue Gemeinschaftsunternehmen GSK Consumer Healthcare soll damit zu einem Martkführer... mehr
Gleiss Lutz begleitet europäisches Grossprojekt in der Mikroelektronik
Am 19.12.18 hat die EU-Kommision staatliche Beihilfen in Höhe von bis zu 1,75 Mrd. Euro der Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien für ein Forschungs- und... mehr
Volkswagen und die „Dieselklagen“ – Kommunikationsstrategie bestimmt die Prozesstaktik
Am 8.1.19 hätte eigentlich eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH; Az.: VIII ZR 78/18) in Sachen eines manipulierten Diesel-Motors vom Typ EA189 angestanden, die die VW-Konzernanwälte... mehr
Geschlossene Fonds – Weitere Verfahren zu erwarten
Spätestens seit der Bundesgerichtshof 2009 entschieden hat, dass die Offenlegungspflicht für Vergütungen auch für den Vertrieb von Geschlossenen Fonds gilt, sieht sich die Branche... mehr
McDermott Will & Emery gewinnt prominenten Steuerrechtler für Frankfurter Büro
Zum Jahreswechsel verzeichnet McDermott Will & Emery einen prominenten Neuzugang: Der renommierte Steuerrechtler und Transaktionsanwalt Wilhelm Haarmann hat Linklaters nach rd. fünf... mehr
P+P Pöllath + Partners erweitert Partnerkreis zum Jahreswechsel
P+P Pöllath + Partners hat mit Wirkung zum 1.1.19 sechs Counsel aus den eigenen Reihen zu Equity- bzw. Associated-Partnern ernannt. mehr
BGH erhöht Rechtssicherheit beim „Acting in Concert“
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine für die Praxis wichtige Frage zum Wertpapierhandels- und -übernahmerecht geklärt. Der BGH entschied, dass die so genannte Einzelfall-ausnahme bei... mehr