Gastbeitrag

„An ESG kommt kein Unternehmen mehr vorbei“

Claudia Schneider und Ruprecht v. Maltzahn
Claudia Schneider und Ruprecht v. Maltzahn © Linklaters

_ Das Thema ESG ist derzeit in aller Munde. Doch was bedeutet dies für die Beteiligten einer M&A-Transaktion? In jedem Fall werden die vielschichtigen Effekte von ESG in Zukunft (noch) stärker zu beachten sein, meinen Claudia Schneider und Ruprecht von Maltzahn, Partnerin bzw. Managing Associate der Kanzlei Linklaters.

Der Begriff ESG umfasst, im weitesten Sinne, die Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance). Dahinter verbirgt sich eine Vielzahl von wirtschaftlichen, rechtlichen und (gesellschafts-)politischen Treibern und Rahmenbedingungen, die in hohem Maße Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen nehmen.

Als ein nicht per se finanzieller Aspekt haben ESG-Faktoren, neben klassischen wertbildenden Faktoren wie Finanzkennzahlen oder operativen Synergieeffekten, im Rahmen von M&A-Transaktionen enorme Bedeutung gewonnen. Ihnen kommt somit ein zentraler, wertbestimmender Faktor bezogen auf das Zielunternehmen zu, der in den einzelnen Phasen einer Transaktion ausreichend Berücksichtigung finden muss. Die mit fehlender ESG-Konformität einhergehenden Risiken reichen dabei von behördlichen Bußgeldern für Compliance-Verstöße über zusätzliche Kosten für die Beseitigung von Kontaminationen hin zu weitreichenden Reputationseinbußen für das Zielunternehmen und den (zukünftigen) Eigentümer, etwa infolge von unzureichenden Arbeitsbedingungen oder fehlender Klimaneutralität.

Bei der strategischen Grundentscheidung über den Erwerb oder die Veräußerung eines Unternehmens sollten daher ESG-Gesichtspunkte, nicht zuletzt mit Blick auf die generelle Anlagestrategie und die Interessen von beteiligten Share- und Stakeholdern, frühzeitig und vollumfassend Berücksichtigung finden. Eine hohe ESG-Konformität des Zielunternehmens kann Synergieeffekte auf Käuferseite bewirken (z. B. Ausgleich der CO2-Emissionsbilanz), die sich in für den Verkäufer attraktiven Angebotspreisen niederschlagen.

Anforderungen an den Due-Diligence-Prozess

Im Rahmen der käuferseitigen Due Diligence bilden ESG-Aspekte somit vermehrt einen Schwerpunkt bei der Prüfung des Zielunternehmens. Dies erfordert, wie schon bislang, eine umfassende Untersuchung relevanter Bereiche wie Datenschutz, generelle Compliance, Emissionen und sonstige Umweltbelastungen mit Blick auf rechtliche und wirtschaftliche Risiken.

„Neu“ hinzugetreten sind z. B. Arbeitsbedingungen, Diversity, Nachhaltigkeit und Unternehmenskultur. Dabei ist die jeweilige Untersuchung nicht auf (konkret) wirtschaftlich messbare Auswirkungen zu beschränken. Vielmehr sind auch potenzielle Auswirkungen der Transaktion auf die Reputation des Käufers gegenüber existierenden und zukünftigen Stakeholdern stärker zu berücksichtigen. Der erhöhte Prüfungsumfang erfordert verkäuferseitig eine deutlich intensivere und umfangreichere Dokumentation des Zielunternehmens. Erforderliche Informationen sind dabei teilweise nicht in einer „klassischen“ Form dokumentiert und somit nicht kurzfristig verfügbar. Gleichzeitig sehen sich Verkäufer mit spezifischen Anfragen konfrontiert, z. B. mit so genannten „Weinstein-Klauseln“ – d. h. die Offenlegung von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Vorgesetze – die, um möglichen Haftungsrisiken zu entgehen, möglicherweise eine umfangreiche Analyse und Begutachtung erfordern. ESG-Aspekte sollten beim Aufsetzen der Transaktion verkäuferseitig frühzeitig berücksichtigt werden. Andernfalls dürfte sich der Kreis ernsthafter Kaufinteressenten verringern, oder zumindest die Zahl wirtschaftlich attraktiver Angebote zurückgehen, da Käufer fehlende ESG-Konformität bei der Kaufpreisfindung entsprechend berücksichtigen dürften.

Kaufvertrag und Post-Merger-Integration

Aus Sicht des Käufers sind die im Rahmen der Due Diligence identifizierten ESG-Risiken bei der Vertragsgestaltung in ausreichendem Maße zu berücksichtigen. Neben „klassischen“ ESG-Regelungen wie Umweltfreistellungen oder Compliance-Garantien finden sich vermehrt auf spezifische ESG-Standards bezogene Garantien (z. B. Einhaltung von Selbstverpflichtungen bei Klimaneutralität oder fairen Arbeitsbedingungen) sowie spezielle Freistellungen für aufgedeckte ESG-Verstöße. Da sich ESG-Risiken nicht immer mit einem konkreten Kostenrisiko beziffern lassen, dürften unbegrenzte Freistellungsverpflichtungen für den Verkäufer schwerlich zu akzeptieren sein. Neben Kaufpreisabschlägen können daher auch konkrete Handlungsverpflichtungen für den Verkäufer bis zum Vollzug der Transaktion (z. B. Aufnahme von Green Bonds in das Anlageportfolio des Zielunternehmens) einen gangbaren Lösungsweg darstellen. Nicht zuletzt kann mittels Earn-out-Klauseln der Eintritt von ESG-Faktoren (z. B. Erteilung einer Klimazertifzierung) kaufpreiswirksam berücksichtigt werden.

Auch nach dem Closing sollten aus Käufersicht ESG-Themen weiterhin Berücksichtigung finden. Verbesserte Arbeitsbedingungen sowie Investitionen in nachhaltige Produktionsanlagen sind nur Beispiele für Maßnahmen, die zu einem langfristigen Unternehmenserfolg beitragen und somit den (Wiederverkaufs-)Wert des Unternehmens deutlich steigern können. ESG ist somit beides: Herausforderung und Chance.

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