Brüssel kippt deutsches Sanierungsprivileg
"Die EU-Kommission hat die so genannte Sanierungsklausel im deutschen Unternehmens-steuerrecht gekippt. Die Brüsseler Wettbewerbs-hüter stuften die deutsche Regelung zur Ver-lustverrechnung trotz bestimmter an sich zum Verlustuntergang führender Transaktionen als unzulässige Beihilfe ein, weil sie sanierungs-bedürftige Unternehmen gegenüber wirtschaft-lich gesunden Unternehmen ungerechtfertigt bevorzuge. Deutschland muss nun von Unter-nehmen, die von der Sanierungsklausel profitiert haben, diese unzulässigen Beihilfen zurück-fordern. Frank Tschesche, Partner bei Dewey & LeBoeuf in Frankfurt, erläutert die Hintergründe."
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Um den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu begegnen, hatte die Bundesregierung im Juli 2009 den Paragrafen 8c des Körperschaftsteuergesetzes rückwirkend ab 2008 um einen neuen Absatz 1a ergänzt. Danach wurden Beteiligungserwerbe zum Zwecke der Sanierung unter engen Voraussetzungen vom Anwendungsbereich der „Mantelkaufregelung“ ausgenommen. Nach dieser gehen bei der Übertragung einer Beteiligung von mehr als 25% an einem Unternehmen auf einen neuen Erwerber die nicht genutzten Verluste auf Unternehmensebene anteilig unter. Werden gar mehr als 50% der Anteile übertragen, führt dies sogar zum vollständigen Untergang aller nicht genutzten Verluste. Diese Konsequenz erschwerte während der Finanzkrise die Sanierung vieler Unternehmen. Denn gleichzeitig verhindert die Mindestbesteuerung ein vollständiges Aufbrauchen von Verlustvorträgen vor einer Maßnahme, die zum Verlustuntergang führt. Nach der Sanierungsklausel bleiben bisher nicht genutzte Verluste auf Ebene der Körperschaft trotz eines schädlichen Beteiligungserwerbs weiterhin nutzbar. Sanierungsbedürftige Unternehmen können dadurch ihre Steuerlast nach einem Turnaround senken.
„Wettbewerbsverzerrende staatliche Beihilfe“
Wohl vor dem Hintergrund der Finanzkrise meldet die Bundesregierung die ursprünglich bis Ende 2009 befristete Sanierungsklausel nicht bei der EU-Kommission als potenzielle Beihilfe an. Die Befristung wurde zudem noch Ende 2009 aufgehoben und die Sanierungsklausel damit als dauerhaftes steuerrechtliches Institut etabliert. Nach Einleitung einer beihilferechtlichen Untersuchung eröffnete die EU-Kommission im Februar 2010 das förmliche Prüfverfahren, das mit der getroffenen Entscheidung nun endet. Die Kommission stuft die Sanierungsklausel darin als wettbewerbsverzerrende staatliche Beihilfe ein und hält sie mit keiner der Bestimmungen des Gemeinschaftsrahmens für staatliche Beihilfen vereinbar. Sie begründet dies damit, dass das deutsche Unternehmenssteuerrecht auf Grund der strengen Mantelkaufregelung nicht die Möglichkeit der Verlustverrechnung zulasse. Die Sanierungsklausel weiche damit vom allgemeinen Prinzip im deutschen wie auch europäischen Unternehmenssteuerrecht ab, wonach ein Verlustvortrag dann verfällt, wenn bei dem betroffenen Unternehmen ein maßgeblicher Eigentümerwechsel stattfindet. Dadurch soll verhindert werden, dass gescheiterte Unternehmen nur mit dem Zweck übernommen werden, deren steuerlichen Verlustvortrag zur Senkung der Steuerlast zu nutzen.
Ob die Argumentation der Kommission vor dem Hintergrund der tragenden Prinzipien des deutschen Steuerrechts tatsächlich überzeugt, darüber lässt sich streiten. Die Regelung des Paragrafen 8c KStG verstößt nach vielerlei Auffassung gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Die Vorschrift geht außerdem weit über den Rahmen einer Missbrauchsklausel hinaus. Es könnte deshalb argumentiert werden, dass die Sanierungsklausel nur für einen besonderen Ausnahmefall den tragenden Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wiederherstellt.
Dass die Bundesregierung dieses Argument im Rahmen der beihilferechtlichen Untersuchung nicht geltend gemacht hat, ist nachvollziehbar. Wäre sie doch dem Gesetzgeber des damaligen Paragrafen 8c KStG dadurch „in den Rücken gefallen“. Außerdem ist unsicher, ob die Kommission dieses Argument hätte gelten lassen. Bereits im Rahmen der Prüfung der parallelen Ausnahmevorschrift für Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften war dies nicht geschehen. Der Gesetzgeber wurde so mit den „eigenen Waffen“ geschlagen. Unabhängig davon wird die Begründung der Kommission aber dem derzeit geltenden Recht nicht vollständig gerecht. Denn gleichzeitig mit der Verlängerung der Klausel wurden weitere Ausnahmen von der Mantelkaufregelung zugelassen. So gehen nicht genutzte Verluste bei Umstrukturierungen im 100%-Konzern sowie auch dann nicht unter, soweit sie die im Inland steuerpflichtigen stillen Reserven der betroffenen Körperschaft nicht überschreiten.
Sanierungserlass rückt wieder in den Fokus
Zwei Monate haben die deutschen Finanzbehörden Zeit, um eine Liste der Begünstigten zu übermitteln. Da die Anwendung der Sanierungsklausel als Reaktion auf die beihilferechtliche Untersuchung bereits im April 2010 gestoppt wurde, ist noch nicht abzusehen, wie viele Unternehmen tatsächlich betroffen sind. Diesen Unternehmen stehen nur geringe Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Zudem wird im Rahmen einer beihilferechtlichen Rückforderung Vertrauensschutz nur anerkannt, soweit ein Gemeinschaftsorgan eine begründete Erwartung in eine rechtssichere Position geweckt hat. Im Fokus wird deshalb in der Zukunft aller Voraussicht nach wieder der Sanierungserlass stehen. Auch vor diesem Hintergrund ist dringend eine erneute Überarbeitung der Vorschriften zur Verlustnutzung geboten.
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