Legal Tech – Standardisierung vs. maßgeschneiderte Tools

Bereits seit einigen Jahren hält Legal Tech Einzug in die deutsche Kanzleilandschaft, ohne Digitalisierung – so scheint es – kommt auch die Anwaltschaft nicht mehr aus. Doch im Umgang mit digitalen Angeboten gehen Kanzleien unterschiedliche Wege: Einigen erleichtern Software-Tools standardisierte Mandatsarbeit, andere wollen sich mit maßgeschneiderten Tools im Wettbewerb behaupten. Ein Blick in die digitale Kanzleiwelt 2023.
Innovationsnetzwerk zur digitalen Wertschöpfung – mit diesem Versprechen gingen die vier mittelständischen Kanzleien Ebner Stolz, Lutz Abel, Menold Bezler und Thümmel Schütze ins Jahr 2023. Zum 1. Januar, so die gemeinsame Pressemittteilung, habe man sich als strategische Partner im Legal Automation & innovation (Legal Ai) Network zusammengeschlossen, um „zukünftige Bedürfnisse der Mandanten über einen offenen Innovationsprozess vor dem Hintergrund der Digitalisierung systematisch zu identifizieren, erste Prototypen zu testen und marktnahe Lösungsansätze zu entwickeln oder zu finden“.
Carsten Ulbricht, Partner bei Menold Bezler, sieht vor allem im Netzwerkcharakter einen echten Mehrwert für seine Kanzlei. „Vom Austausch in einem Netzwerk versprechen wir uns, voneinander zu lernen, gewohnte Denkmuster zu verlassen und neue Ideen zur Herangehensweise an digitale Projekte.“ Und auch die Perspektive spielt für Ulbricht eine Rolle, wichtig sei es, als Dienstleister zu denken. „Auch dazu ist der Rahmen ideal, um insbesondere die Sicht der Unternehmensvertreter besser zu verstehen und dies in unserem zukünftigen Beratungsangebot zu berücksichtigen.“
Was Legal Tech kann – und was nicht
Dass Legal Tech die Kanzleien in vielen Bereichen voranbringen kann, ist unter Experten unstrittig. „Es gibt eine ganze Reihe von Argumenten, die für den Einsatz von Legal Tech sprechen“, meint Markus Hartung. Der Rechtsanwalt und geschäftsführende Gesellschafter von Chevalier, einer auf Arbeitsrecht spezialisierten Legal Tech-Kanzlei, beschäftigt sich seit vielen Jahren auch mit dem Thema Digitalisierung im Anwaltsberuf, redet in wichtigen DAV-Ausschüssen mit und berät Kanzleien bei der praktischen Legal Tech-Umsetzung. „Die Arbeit wird flexibler, weniger ressourcenaufwendig, man kann kostengünstiger arbeiten, hat Vorteile im Recruiting, und nicht zuletzt bedient man die Erwartungen der Mandanten.“ Denn die sind zunehmend nicht mehr bereit, die in der Branche üblichen hohen Stundensätze auch für Dokumentationen, Recherchearbeiten oder Vertragsprüfungen zu bezahlen. Umgekehrt bedeutet es aber auch für den Anwalt/die Anwältin eine Entlastung, denn sie können zeitraubende, aber wenig anspruchsvolle Aufgaben an eine Software übertragen und haben somit im Tagesgeschäft mehr Zeit für die eigentliche anwaltliche Kreativarbeit.
Genau hier zeigt sich, was Legal Tech kann und was eben nicht. Es geht darum, wiederkehrende, d.h. standardisierte Prozesse für Anwalt und Mandant effizienter zu erledigen. Nicht darum, den Anwalt durch ein Programm zu ersetzen. Rechtsberatung bleibe ein „people’s business“, meint Samuel van Oostrom, Geschäftsführer des Informationsdienstes Juris. „Rechtsberatung ist eine Tätigkeit, bei der es um Menschen geht und menschliches Denken und Gefühle kann man nicht wirklich automatisieren.“ Das sieht auch Markus Hartung so: „Wenn Sie ein sehr persönlich-beratungsintensives Geschäft haben, mit vielen schwierigen taktischen oder strategischen Einzelfragen beschäftigt sind, quasi im ‚Grey-Hair‘- oder ‚Rocket Science‘-Bereich tätig sind, dann brauchen Sie keine Software, mit der Sie standardisierte Abläufe automatisieren können.“
Dennoch: Es wäre auch für hochspezialisierte Juristinnen und Juristen fatal, sich den technischen Entwicklungen zu verschließen. „ChatGPT hat uns vor Augen geführt, wozu Software bereits in der Lage ist“, meint Hartung. „Auch wenn wohl klar ist, dass ChatGPT keinen Anwalt ersetzen kann, so müssen wir doch anerkennen, dass die Geschwindigkeit der Entwicklung zunimmt.“
Netzwerkarbeit bringt die besseren Ergebnisse
Vor allem die vergangenen drei Jahre haben die Branche extrem schnell vorangebracht. Das beobachtet auch Menold Bezler-Partner Ulbricht. Wobei er Legal Tech aber nicht per se als Heilsbringer für Kanzleien bezeichnen würde. „Legal Tech-Lösungen müssen auf die Kanzlei- und Arbeitsabläufe abgestimmt sein und einen tatsächlichen Mehrwert liefern. Ehrlicherweise waren wir mit dem ersten Ansatz, bestehende Lösungen einzusetzen, nicht allzu erfolgreich. Es muss in Problemen und den dahinterliegenden Prozessen anstelle von fertigen Lösungen von der Stange gedacht werden.“
Ein Vorteil, den Ulbricht daher auch im Netzwerk Legal Ai sieht, ist die gemeinsame Entwicklung von Legal Tech-Lösungen, bei der beide Seiten – Anwalt und Entwickler – voneinander lernen können. „Es ist wichtig, digitale Projekte nicht im Vorfeld zu zerreden, sondern einfach mal auszuprobieren. Ganz spannend ist dabei der Austausch mit bestehenden Legal Tech-Unternehmen. So berate ich einige Start-ups, deren Arbeitsweise wie auch Lösungen gänzlich neue Ansätze der anwaltlichen Beratung mit sich bringen.“
Ein Ansatz, den auch einige Großkanzleien bereits verfolgen und gemeinsam mit Legal Tech-Unternehmen an Softwarelösungen arbeiten, die sie Mandanten oder auch Wettbewerbern im Markt verkaufen können. Aber auch hier gilt: Diese Tools sind hochspezialisiert, teuer in der Entwicklung und bisher auf bestimmte Transaktionstypen zugeschnitten. Das generalistische Tool „für alle Lebenslagen“ ist jedenfalls (noch) nicht in Sicht. Das wiederum mache auch eine Monetarisierung solcher Lösungen schwierig, so Markus Hartung. „Hier bin ich aktuell noch skeptisch.“ Auch weil die deutsche Anwaltschaft trotz der Entwicklungen der vergangenen Jahre doch eher konservativ aufgestellt sei. Ohne das passende „Mindset“ in der Kanzlei geht es nicht, glaubt auch Carsten Ulbricht. Das immerhin sieht der IT- und Datenschutzrechtler im Netzwerk Legal Ai vertreten. Mit den ersten Ideen gehe man jetzt in die Gespräche mit den Partnern, die, so hofft Ulbricht, schon bald in neuen digitalen Angeboten für die Mandanten münden sollen. ad
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