Kritische Zeiten für Startups

Wagniskapital _ Am Geld sollte es eigentlich nicht scheitern. Während die zugesagten, aber noch nicht abgerufenen Investorengelder ("Dry Powder") für Private Equity-Fonds seit einer Weile rückläufig sind, erreichten die Venture Capital-Reserven Mitte 2022 einen neuen Höchststand. Weltweit stehen nach Zahlen des Datenanbieters PitchBook über 500 Mrd. US-Dollar für VC-Investments bereit. Trotzdem wird es für viele Startups gerade richtig ungemütlich.
Praktiker beobachten derzeit eine Dreiteilung des Marktes. Grob gesagt, bedeutet das gute Aussichten für ganz frische Neugründungen und bereits etablierte Firmen, aber große Schwierigkeiten für Startups, die noch mitten im Wachstumsprozess stecken. „Bei Seed-Runden ist bisher kaum eine Veränderung spürbar, das Umfeld ist weiter sehr gründerfreundlich“, sagt Till-Manuel Saur, Venture Capital-Partner im Berliner Büro von Osborne Clarke. Frühphaseninvestoren engagieren sich mit einem Horizont von sieben bis acht Jahren, die aktuelle Konjunktur spielt für sie kaum eine Rolle. Außerdem mischen in diesem Segment eine ganze Reihe öffentlich (teil-)finanzierter Fonds wie der High-Tech Gründerfonds (HTGF) oder Bayern Kapital mit, die zwar oft auf private Co-Investments angewiesen sind, aber für Stabilität sorgen.
Manche Investoren greifen nach wie vor gelegentlich zu sogenannten „Simple Agreements for Future Equity“ (SAFE), einer Art Vorschuss gegen das Versprechen, nach einer Frist Anteile an einem Startup zu erhalten. Einen festen Rückzahlungsanspruch gibt es, anders als bei einem Wandeldarlehen, allerdings nicht, und auch bei den deutschen Beurkundungserfordernissen gibt es eine Grauzone. „US-Investoren kennen und mögen diesen Baustein und schlagen SAFEs oft selbst vor“, berichtet Daniel Gubitz, Partner bei der Münchener Kanzlei GLNS.
Auch für Einhörner wird es ungemütlich
Für Startups, die bereits kurz vor dem Exit stehen und vielleicht auch schon verlässlich Geld einspielen, sind die Aussichten auch nicht schlecht, selbst wenn der Weg an die Börse auf dem aktuellen Kursniveau für die allermeisten erst einmal versperrt ist. Allerdings kommt es mehr denn je auf das Geschäftsmodell an. Die Frage, ob wirklich dauerhaft Platz für massenhaft Lieferdienste ist, beantwortet sich derzeit von selbst, wie die Konsolidierung in diesem Sektor zeigt. Fintechs leiden, allen Erfolgschancen zum Trotz, unter ihrer relativ hohen Kostenbasis. Energie-Großverbraucher wie der Gewächshaus-Kräuterzüchter Infarm sind zu massiven Einschnitten gezwungen. Für viele Healthcare-Startups oder Tech-Dienstleister wie der HR-Softwareanbieter Personio sieht es dagegen weiterhin gut aus.
Doch selbst für die schönsten Einhörner waren die Zeiten schon mal gemütlicher. Wenn es frisches Geld gibt, muss dieselbe Summe heute oft nicht nur für ein Jahr reichen, sondern für zwei bis drei Jahre. Der Kosten- und Profitabilitätsdruck ist enorm, wie diverse Entlassungswellen zeigen. GLNS-Partner Gubitz sieht in den nächsten ein bis zwei Jahren „eher Kooperationen und andere Sparmaßnahmen als neue Runden“ auf die Branche zukommen. Und selbst bei Vorzeige-Startups wie Personio oder Trade Republic, die im Sommer 2022 zusammengenommen rd. 450 Mio. Euro einsammelten, steigen kaum noch neue Investoren ein. Stattdessen stocken die Bestandsinvestoren ihre Beteiligungen weiter auf. Spezielle Venture Debt-Kreditfinanzierungen kommen für Liquiditätslücken wieder verstärkt zum Einsatz, „machen aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen Sinn“, wie Osborne Clarke-Partner Saur erläutert, sprich: nur dann, wenn man sich schon auf die Profitabilität verlassen kann.
Vorzeitige Exits in Sicht
Harte Zeiten sind dagegen für viele VC-finanzierte Unternehmen angebrochen, die noch ein paar Jahre bräuchten, bis die Gewinnzone erreicht ist. „Viele Startups, die ihre Serie A- bis C-Finanzierungsrunden hinter sich haben, bekommen nur noch zu sehr harten Bedingungen neues Geld“, beobachtet Saur. Nominale Wertberichtigungen versucht man zwar zu vermeiden, wenn es irgend geht. Wer neues Geld investiert, lässt sich das aber meist durch besonders gute Konditionen aufwiegen. Als künstliche Bewertungshebel kommen etwa eine Vorzugsbehandlung beim Exit („nicht anrechenbare Liquidationspräferenzen“) oder Wertgarantien zulasten von Altinvestoren („Full-Ratchet-Verwässerungsschutzklauseln“) zum Einsatz, was faktisch massiv nach unten korrigierte Bewertungen bedeutet.
Einige Startups dürften demnächst auch deutlich früher als geplant auf dem Markt landen. „Ich würde damit rechnen, dass wir im ersten Halbjahr 2023 recht viele Exits VC-finanzierter Unternehmen sehen werden, die in den vergangenen Jahren noch zwei, drei weitere Finanzierungsrunden vor sich gehabt hätten“, meint Gubitz. Auch für diesen Fall haben sich die Investoren abgesichert. „Meistens gibt es sogenannte Drag-Along-Klauseln, die einen vorzeitigen Verkauf per Mehrheitsentscheid ermöglichen“, erklärt Saur. Neben anderen Finanzinvestoren dürften dabei verstärkt auch strategische Käufer zuschlagen, wenngleich viele Innovationsbudgets unter den aktuellen Sparzwängen leiden.
Hoffen auf Altersvorsorge-Geldtöpfe
Größere Verwerfungen in der Venture-Szene sind trotzdem eher unwahrscheinlich. VC-Giganten wie Andreessen Horowitz, Sequoia oder SoftBank stecken Fehlinvestments wie zuletzt bei der Skandal-Kryptobörse FTX bisher recht locker weg, Investoren wie Earlybird oder Lightspeed sind seit Jahrzehnten im Markt und haben von der Dotcom-Blase bis zur Lehman-Krise schon einige kritische Phasen überlebt. „Erfahrungsgemäß werden vor allem kleinere Fonds Schwierigkeiten haben, während die Großen und Etablierten gut in Geschäft bleiben – das war bisher noch in jeder Krise so“, meint Gubitz. Dazu kommen potenziell noch weit bedeutendere Geldquellen, denn selbst wenn die in der „Startup-Strategie“ der Ampelkoalition vorgesehene Mindestquote im ersten Anlauf kassiert wurde – die Diskussion um VC-Investments durch Pensionsfonds ist sicher noch nicht am Ende.
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