ESG – Fluch und Segen für Immobilieninvestoren
Zwischen Renditechance und stranded assets _ Nach wie vor ist ESG für viele Investoren ein schwer zu greifender Begriff. In ihrer Beraterpraxis bei Baker Tilly nehmen die Expertinnen Martina Hertwig und Britta Martens daher Unternehmen und alternative Investmentfonds mit Immobilienschwerpunkt an die Hand. Denn neben Rendite und Risiko ist Nachhaltigkeit nun mal das zentrale Investitionskriterium und mehr noch, für Marktteilnehmer künftig verpflichtend.
Die EU-Regulatorik gibt einiges vor: Als wesentliche Bestandteile nennt Martina Hertwig die Offenlegungs- sowie die Taxonomieverordnung (Anwendung ab 2022) und die Anpassung anderer Regelwerke wie MiFID II, alle drei Aspekte äußerst umfangreich ausgestaltet. In aller Kürze, so fassen die aus Hamburg auf das PLATOW EURO FINANCE Beteiligungsforum (am 18.11.) zugeschalteten Expertinnen ihre Ausführungen zusammen, soll die Taxonomie ein EU-weites Klassifizierungssystem schaffen und damit Nachhaltigkeit entlang sechs wesentlicher Umweltziele messbar machen – Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung/Verminderung der Umweltverschmutzung und Schutz gesunder Ökosysteme. Die Offenlegungsverordnung verpflichtet Finanzmarktteilnehmer zusätzlich, Investoren über verschiedene Medien (u.a. Website, Prospekt) ESG-bezogene Informationen zur Verfügung zu stellen. Ab dem Geschäftsjahr 2022 gehören ESG-Angaben dann auch in die Jahresberichte.
Immobilienbranche muss vieles beachten
Die Immobilienwirtschaft bzw. Immobilienfonds seien besonders spürbar von der EU-Taxonomie betroffen, ergänzte GSK Stockmann-Anwalt Christoph Strelczyk. Technische Bewertungskriterien in vier Bereichen sind in Zukunft für den Immobiliensektor relevant: 1) Neubauten, 2) Sanierungen/ Renovierungen von Bestandsimmobilien, 3) einzelne Renovierungen und 4) Akquisitionen bzw. Eigentümerschaft. So gelte bei Neubauten u. a., dass der Primärenergiebedarf 10% unter den Anforderungen an Niedrigstenergiegebäude nach nationalem Recht liegen muss. In Deutschland seien dies 75% des Referenzgebäudes gemäß Gebäudeenergiegesetz, erklärt Strelczyk. Für Gebäude von mehr als 5 000 Quadratmeter Nutzfläche kommen weitere Anforderungen hinzu. Bei Investitionen in Sanierungen/Renovierungen von Bestandsimmobilien gilt u.a., dass diese nur dann ESG-konform sind, wenn damit mind. 30% des Primärenergiebedarfs eingespart werden oder die Maßnahmen im Einklang mit dem nationalen Recht zur Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie sind. Für einzelne Renovierungsarbeiten wiederum gebe es ein Paket an taxonomiefreundlichen Maßnahmen, so Strelczyk. Dazu gehörten etwa die Installation von Photovoltaikanlagen, Windrädern, Energie- und Wärmespeichern sowie die Verbesserung der Außendämmung oder E-Ladestationen. Und schließlich gelten auch bei Akquisitionen/Eigentümerschaft von Immobilien, die ab dem 1.1.21 errichtet wurden, die Vorgaben wie bei Neubauten. Bis Ende Dezember 2021 errichtete Gebäude müssen Energieeffizienzklasse A erfüllen oder beim Primärenergiebedarf zu den besten 15% des nationalen/regionalen Bestands gehören.
In der Praxis sieht Strelczyk jedoch Probleme. Der Zeitplan sei zu straff, die Datenlagen für einzelne Objekte zu dünn und nur wenige Bestandsimmobilien würden die ambitionierten Vorgaben erfüllen, kritisiert der Anwalt und sieht damit für Investoren die Gefahr, dass langfristig gehaltene Immobilen zu „stranded assets“ verkommen. Außerdem berücksichtige die EU Besonderheiten von Immobilien in nicht-EU-Ländern kaum. Dennoch werden sich die Marktteilnehmer im Immobiliensektor der Anforderungen annehmen, glaubt Strelczyk. Denn ESG-konforme Gebäude werden alleine schon aufgrund ihrer höheren Marktwerte bei Investoren hoch im Kurs stehen.
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