Zinswende als Einstiegschance – Der Markt sortiert sich neu

Es bröckelt beim Betongold – Immo-Aktien gehören aber ins Depot

Ein Lieblingssektor deutscher und internationaler Anleger ist 2022 kräftig unter die Räder gekommen. Steigende Notenbankzinsen haben auch bei Immobilien eine Neubewertung ausgelöst. Der kräftige Kursverlust der ersten sechs Monate hat aber dafür gesorgt, dass bei einigen qualitativ hochwertigen Immobilienaktien inzwischen günstige Einstiegsgelegenheiten zu erkennen sind. Wir zeigen auf, worauf Anleger bei Immobilienwerten achten sollten.

Nach vielen praktisch zins- und inflationslosen Jahren sind die Teuerungsraten in den USA und Europa auf seit Jahrzehnten nicht mehr gesehene Niveaus gestiegen. In den USA lag die Inflation im August mit 8,3% so hoch wie zuletzt in der zweiten Ölkrise Anfang der 1980er-Jahre. In Europa ist die Teuerung im Sommer 2022 auf 9,1% gestiegen, ebenfalls ein 40-Jahres-Hoch. Die aus dem Ruder laufenden Konsumentenpreise haben die Notenbanken weltweit (mit Ausnahme von China, Japan, Russland und der Türkei) gezwungen, die Geldpolitik deutlich restriktiver zu gestalten. Die US-Notenbank Fed peilt mittlerweile zum Jahresende bei den von ihr festgesetzten Leitzinsen ein Zinsniveau von rd. 4,5% an, bei der EZB erwarten Experten einen Anstieg auf rd. 1,75%.

Das hat Folgen für die Immobilienbranche: Die gestiegenen Marktzinsen verteuern die Finanzierung von Ankäufen neuer Portfolien, während die höheren Preise und die schlechte Lieferbarkeit wichtiger Baumaterialien die Kosten für Bau- und Sanierungsvorhaben nach oben treiben. Zudem fällt zunehmend das Niedrigzinsumfeld weg, das jahrelang ein Treiber für immer höhere Bewertungs-Multiples war.

 

 

Immobilien sind Inflationsschutz

Der Markt hat darauf reagiert: Im Universum der von uns beobachteten rund 50 Immobilienwerte aus der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) beträgt der Kursrückgang seit Jahresbeginn im Schnitt 19% – was sich aber im Vergleich zur Entwicklung vieler Indizes sogar noch sehen lassen kann. Denn es gibt weiterhin gute Gründe, gerade in unsicheren Zeiten in Betongold investiert zu sein: Immobilien sind Sachwerte, die auch bei starken Marktverwerfungen ihren Nutzwert behalten, durch Vermietung oder Verpachtung und oft indexierte Verträge relativ stabile Erträge generieren.

Qualitativ hochwertige Immobilienaktien können daher auch in schwierigen Marktphasen und insbesondere in Zeiten hoher Inflationsraten eine gute Beimischung für jedes Aktiendepot darstellen. Aber wie erkennen Anleger qualitativ hochwertige Aktien im Immobilienbereich? Nun, hier ist es im Grundsatz zunächst einmal wie in allen anderen Sektoren der Wirtschaft: Profitables, stetiges Wachstum in der Vergangenheit und in der von Analysten projizierten Zukunft bilden die Grundlage. Hinzu kommen spezifische Kennziffern wie die Funds From Operations (FFO), die möglichst ohne Erträge aus Portfolioverkäufen berechnet sein sollten und die operative Ertragskraft eines Immobilienunternehmens messen. Ergänzend blicken wir neben Leerstandsquoten und Mieterträgen in der gegenwärtigen Marktphase vor allem auf den inneren Vermögenswert (Net Asset Value; NAV), mit dem die im Unternehmen gesammelten Sachwerte bewertet werden, und die Risikokennziffer Loan-to-Value (LTV), die den Beleihungsgrad und damit die Abhängigkeit von steigenden Zinsen misst.

Warnend muss an dieser Stelle allerdings angemerkt werden, dass die beiden letztgenannten Kennziffern durchaus Interpretationsspielraum zulassen: Beim NAV kommt es darauf an, wie konservativ die im Portfolio enthaltenen Grundstücke und Immobilien bewertet werden; der LTV wiederum muss insbesondere vor dem Hintergrund interpretiert werden, wie lange die Restlaufzeiten der bestehenden Kredite noch sind und wann sie refinanziert werden müssen.

 

Wohnungen weiter gefragt

Der Wohnungsbausektor bleibt von einem strukturellen Nachfrageüberhang gekennzeichnet. Die Berliner Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich das Ziel gesetzt, 400 000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, davon 100 000 Sozialwohnungen mit bezahlbaren Mieten. Nur mit einer solchen Bauanstrengung wäre es möglich, auf mittlere Sicht die weiter steigende Nachfrage zu decken. Doch angesichts steigender Baukosten, eines anhaltenden Fachkräftemangels auch auf dem Bau und unzuverlässiger gewordener Lieferketten erschien uns dieses hehre Ziel zuletzt deutlich schwieriger erreichbar. Im 1. Hj. 2022 wurden jedenfalls mit 185 772 rd. 2% weniger Neu- und Umbauten bewilligt als vor Jahresfrist, wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat. Die Situation hat sich dabei im Jahresverlauf wegen der genannten Faktoren sogar noch verschärft: Im Juni betrug die Lücke zum Vorjahr mit 30 425 Genehmigungen sogar schon 4,5%.

Dabei zeigt sich, dass aufgrund der knappen Bodenressourcen der Trend zum Mehrfamilienhaus, wie es oftmals von den klassischen börsennotierten Wohnungsverwaltern bevorzugt wird, weiter verstärkt hat. Im 1. Hj. wurden mit 41 765 Wohnungen 17% weniger Einfamilienhäuser als vor Jahresfrist genehmigt; bei der Zahl der Mehrfamilienhäuser gab es dagegen ein ordentliches Plus von 7,8% auf 99 755 Wohnungen.

Experten warnen vor einer weiter aufgehenden Schere zwischen Angebot und Nachfrage, insbesondere in den großen Städten. „Vor allem bei den Sozialwohnungen und bei bezahlbarem Wohnraum gibt es in weiten Teilen Deutschlands einen erheblichen Mangel“, erklärte jüngst IG Bau-Chef Robert Feiger. Das hat Folgen für die zu erwartende Mietpreisentwicklung. Im Juli dieses Jahres legten die Mieten in Deutschland bereits stark zu.

Trotz stetig steigender Mieten bleibt Deutschland dabei ein Land der Mieter: Etwa 57,9% der Menschen leben aktuell zur Miete. In Hamburg und Berlin ist der Miet-anteil besonders hoch. In der Hansestadt lebt nicht einmal jeder Vierte in den eigenen vier Wänden, während sich im hippen Berlin nur jeder siebte Einwohner Eigentümer einer selbstbewohnten Wohnung nennen kann. Die Mieten selbst steigen dabei seit Jahren kontinuierlich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lagen sie im Juli dieses Jahres etwa 10% über dem Basisjahr 2015. Zwar deutet sich angesichts steigender Zinsen ein Erreichen des Nachfragezenits an, weil sich immer weniger Menschen die angebotenen Mieten leisten können. Insgesamt wird das Grundbedürfnis Wohnen, das unabhängig von Konjunktur- und Marktphasen bedient werden muss, weiterhin z. T. ungestillt bleiben. Große Wohnungsverwalter wie Vonovia und Patrizia bleiben daher gefragt.

 

Wie hoch ist der Bürobedarf?

Anders als im Wohnungssektor mit seinem strukturell angelegten Wachstumstrend ist die Vermarktbarkeit von Büroimmobilien viel stärker von konjunkturellen Trends abhängig. Wichtig sind hier neben einer guten Lage in gefragten Städten oder Regionen die solide Ausstattung. Eine gute Infrastruktur, von der Erreichbarkeit über die technische Ausstattung bis hin zu ausreichend Raum für Begegnung und Kommunikation – es gibt viele Gründe, warum Büros mit Merkmalen, die sich jeder Nutzer wünscht, gefragt bleiben. Deshalb stufen wir Immobilienentwickler wie die österreichische UBM Development oder den Bestandsverwalter CA Immo, die die genannten Kriterien bei ihren Bauvorhaben auch noch mit einem umfangreichen ESG-Engagement (Solarpanels, Begrünungsflächen, Ladestationen) kombinieren, weiterhin als chancenreich an. Kritisch sehen wir hingegen hochpreisige Hightech-/Luxusimmobilien in exponierten Innenstadtlagen. Vor allem die nach der deutschen Wiedervereinigung gebauten Gebäude stehen oft bereits am Ende ihres Lebenszyklus. Eine Sanierung, die sich in Zeiten des Niedrigzinsumfelds über die gängigen Bewertungsmultiplikatoren noch durchaus gerechnet hat, wird in den kommenden Jahren zunehmend teuer und unattraktiv.

Viel wurde in der Vergangenheit darüber spekuliert, ob die Auswirkungen der Pandemie mit dem Trend zur verstärkten Homeoffice-Nutzung die Nachfrage nach Büroimmobilien grundsätzlich absinken lässt. Zahlreiche Studien zu diesem Thema haben bislang meist das Interesse der Auftraggeber widergespiegelt und einen Rückgang der Nachfrage verneint. Auch wir haben keine Glaskugel, um die Trends der kommenden Jahrzehnte ablesen zu können. Allerdings lassen die bisherigen Entwicklungen darauf schließen, dass die Nachfrage grundsätzlich hoch bleiben wird, dabei aber neue Ausprägungen erhält: So werden in Zeiten des Wettbewerbs um die Talente (Stichwort: Fachkräftemangel) großzügiger geplante und ausgestattete Büroräume mit einer guten Erreichbarkeit weiterhin gefragt bleiben. Auch neue Konzepte, wie etwa die Schaffung von Büroräumen an neuralgischen Punkten im Speckgürtel der großen Städte, dürften künftig gefragter sein. Schließlich hat nicht jeder Mitarbeiter zuhause optimale Voraussetzungen für die Arbeit im Homeoffice, freut sich aber umgekehrt über wohnortnahe, leicht erreichbare Angebote, die ohne große Staus oder langwierige Zugfahrten zu erreichen sind.

 

Gesucht: Gewerbeimmobilien-Spezialisten

 

Klar ist, dass Corona nicht spurlos am Büromarkt vorbeigehen wird. Selbst wenn sich der Trend „Raus aus den Innenstädten“ und hin zu großzügiger geplanten Büroflächen in Randlagen fortsetzen wird, so ist die grundsätzliche Nachfrage nach Büroimmobilien aus unserer Sicht weiter ungebrochen. Wichtig bleiben dabei eine gute Auswahl und ein gesunder Mix verschiedener Bereiche. Die Schweizer Ina Invest, die neben ihrem Wohnungsschwerpunkt (52% des Portfolios) auch ein größeres Standbein im Bürosektor (26,5%) ausgebildet hat, das durch kleinere Blöcke im Hotel- und Gewerbesektor (jeweils rd. 6%) ergänzt wird, erscheint uns mit zahlreichen attraktiven Standorten in der Schweiz aussichtsreich aufgestellt.

 

Der Goldstandard

Am stärksten von den laufenden Trends gestützt werden Gewerbe-immobilien-Spezialisten, die auf kleine Einzelhandelsobjekte in kleinen und mittleren, aber wachsenden Städten fokussiert sind. Unternehmen wie Defama und FCR Immobilien setzen dabei auf den gezielten Kauf und die langfristige Vermietung von Fachmärkten und kleinen Einkaufszentren in wachstumsstarken Regionen. In der Regel handelt es sich um Ansammlungen von Fachmärkten am Rande von Städten und Gemeinden, bei denen ein Versorger des täglichen Bedarfs (Lidl, Edeka, REWE) mit zugkräftigen Filialisten wie DM, Jysk (früher Dänisches Bettenlager), Matratzen Concord oder Tedi auf einem verkehrsgünstig erreichbaren Terrain konzentriert ist.

Die sorgfältige Auswahl der Mieter sorgt dafür, dass aufkommende Leerstände zügig gefüllt werden können. Da es sich fast ausschließlich um Standorte mit hohen und in der Tendenz steigenden Besucherzahlen handelt, haben die Mieter zumeist ein großes Interesse, in diesen Fachmarktzentren präsent zu sein. Die hohe Bonität der Mieter sorgt für verlässliche, wiederkehrende Cashflows in Form von Mieten, die in vielen Fällen an die Entwicklung der Verbraucherpreise gekoppelt sind. Entsprechend können die derzeit steigenden Kosten zu einem großen Teil direkt weitergegeben werden. Ohne Frage: Dieser Sektor wird weiter zu den Favoriten im deutschen Immobilienbereich gehören.

 

Die Top 4-Immobilienaktien 2023 gibt es im folgenden Artikel.

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