PEPP und die Strategie für Kleinanleger – EU-Kommission auf Abwegen?
Gastkommentar _ Beim PEPP (Pan-European Personal Pension Product) handelt es sich um einen freiwilligen privaten Altersvorsorgeplan, der den Verbrauchern eine neue europaweite Möglichkeit bietet, für den Ruhestand zu sparen. Dieses neue Produkt soll den Sparern bei ihrer Altersvorsorge größere Wahlmöglichkeiten eröffnen und ihnen wettbewerbsfähigere Produkte zur Auswahl zeigen. Es gibt gute Gründe für PEPP, doch EU-weit noch kein einziges Angebot.
Es steht außer Frage, dass ein gemeinsamer Binnenmarkt für die Bürgerinnen und Bürger wie für die Unternehmen der Europäischen Union viele Vorteile und Chancen bietet. Für die Verbraucher bestehen sie in mehr Angebotsvielfalt und günstigeren Preisen, und den Unternehmen bieten sich breitere Wachstumsmöglichkeiten. In einem europäischen Binnenmarkt lassen sich Kosten und Zeit einsparen, wenn Zölle und andere Handelshemmnisse für Produkte und Dienstleistungen entfallen. Der Binnenmarkt gewährleistet europaweiten freien Marktzugang der Verbraucher sowie Niederlassungs- und Exportfreiheit der Unternehmen. Einen weiteren Beitrag soll die Harmonisierung der Rahmenbedingungen von Märkten, Produkten, Dienstleistungen oder bürokratischen Prozessen leisten. Funktionieren sie in allen Ländern nach gleichen Regeln und Prinzipien, entsteht ein einheitlicher europäischer Gesamtmarkt.
Allerdings stellen sich die Vorteile nicht ohne Weiteres und von selbst ein. Eine große Hürde sind sprachliche und kulturelle Unterschiede sowie Interdependenzen zu anderen Märkten und dem staatlichen Sektor. Dies gilt besonders für weite Teile des Finanzmarktes. Seine Produkte sind für den Verbraucher schon in der Muttersprache oft schwer verständlich und erklärungsbedürftig. Grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr ist deshalb schon sprachbedingt schwierig. Anbieter aus einem anderen EU-Land werden im Regelfall nur erfolgreich sein, wenn sie ihre Finanzprodukte in der Sprache des Zielmarktes anbieten und dort auch über Beratungskapazitäten verfügen. Zudem sind vor allem im Bereich der privaten sozialen Absicherung der Bürger – dazu zählen die private Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung – die Angebote eng verknüpft mit den staatlichen Sicherungs- und Steuersystemen. Wenn diese nicht harmonisiert sind, sind grenzüberschreitende Angebote nicht passgenau und werden nicht nachgefragt.
PEPP – Gut gemeint, aber am Markt vorbei
Wie vor diesem Hintergrund EU-Bemühungen um Standardisierung zum Misserfolg werden können, zeigt das PEPP, das PanEuropäische Private Pensionsprodukt, das nach dem Willen der EU-Institutionen europaweit angeboten werden soll. Zwei europäische Ideen stecken dahinter: die Verbesserung der Alterssicherung in allen EU-Staaten durch Förderung der privaten Altersvorsorge und die europaweite Portabilität der eigenen Altersvorsorge. Hinzu kommen Impulse aus dem Verbraucherschutz; das europäisch geregelte Produkt soll mit niedrigen Kosten die Rendite für die Verbraucher verbessern.
All diese Motive sind nachvollziehbar. Trotzdem gibt es in der gesamten EU für das PEPP kein einziges Angebot. Was sind die Ursachen für diesen beeindruckenden Flopp?
Ausbau des Alterssicherungsniveaus?
Eine Verbesserung des Alterssicherungsniveaus mithilfe von PEPP ist vor allem für solche EU-Länder relevant, die hier Defizite aufweisen. Das sind oft ärmere Länder. In diesen fehlen aber den Bürgern die finanziellen Mittel, um überhaupt oder mehr als bisher für das Alter vorsorgen zu können. Zugleich hat der Staat dort häufig nicht die finanziellen Möglichkeiten, private Vorsorge steuerlich oder mit Zulagen zu fördern. Und die reicheren Länder? In Deutschland liegt das Alterssicherungsniveau aus der gesetzlichen Rentenversicherung unter 50%, ergänzende private Vorsorge ist also durchaus geboten. Allerdings muss sich das standardisierte PEPP hier der Konkurrenz einer breit differenzierten Angebotsvielfalt privater Altersvorsorgeprodukte stellen; bislang bevorzugen die Menschen die maßgeschneiderten Lösungen. Zudem werden etwa private Rentenversicherungen staatlich gefördert, was PEPP nicht vorsieht. Denn nicht alle Staaten der EU haben die Mittel für staatliche Förderung; sie hätten deshalb einer verpflichtenden Lösung nicht zugestimmt. Die Folge ist: PEPP ist in Deutschland nicht wettbewerbsfähig und nicht attraktiv genug.
Verbesserte Portabilität?
Die Portabilität privater Altersvorsorgeprodukte zielt auf EU-Bürger, die im Laufe ihres Erwerbslebens in unterschiedlichen EU-Staaten arbeiten und im jeweiligen Land Ansprüche aus privaten Altersvorsorgeverträgen aufbauen wollen. Dies ist nach heutigem Stand schwierig, da es in den nationalen Systemen der Alterssicherung gravierende Unterschiede gibt.
Anders als in anderen EU-Ländern gibt es zum Beispiel in Deutschland eine Vielzahl von Möglichkeiten der staatlichen Förderung privater Altersvorsorge über Steuerersparnisse oder Zulagen. Diese kann nutzen, wer in Deutschland steuer- bzw. sozialversicherungspflichtig ist. Portabilität wäre gegeben, wenn diese staatliche Förderung europaweit harmonisiert würde. Das ist derzeit schon allein deshalb aussichtslos, weil einigen EU-Ländern die dafür notwendigen Haushaltsmittel fehlen.
Kostensenkung?
Das PEPP sieht eine maximal zulässige Belastung mit Verwaltungs- und ggf. Vertriebskosten der Anbieter in Höhe von 1% vor. Die Idee eines solchen Kostendeckels hat ihre Wurzeln zum einen im Niedrigzinsumfeld, in dem die Kosten für die Rendite eines Produktes an Bedeutung zunehmen. Zum anderen wird den Anbietern häufig unterstellt, den Kunden zulasten der Rendite unverhältnismäßig hohe Kosten zu berechnen. Das europaweit fehlende PEPP-Angebot kann als Nachweis gelten: Mit 1% Kostenpauschale sind Verwaltung und Beratung bzw. Vermittlung nicht zu finanzieren.
„Kleinanlegerstrategie“ – Alter Wein in neuen Schläuchen
Mit ihrer „Strategie“ zielt die EU-Kommission darauf, vor allem Kleinanlegern den Marktzugang zu besser rentierlichen Anlageprodukten – also Aktien- und Investmentprodukten – zu ebnen. Dazu haben Kommission, ESMA und EIOPA in einer Reihe von Anhörungen die Stakeholder mit Thesen und Fragen konfrontiert. Ohne dass bisher konkretisierende Papiere vorliegen, kristallisiert sich heraus, dass es um mehr als um den Marktzugang zu besser rentierlichen Angeboten geht. Offensichtlich soll die gesamte Regulatorik im Retailgeschäft des Finanzmarktes einer eingehenden Überprüfung mit anschließender Neujustierung unterzogen werden.
„Fehlender Marktzugang“ – Für Deutschland trifft das nicht zu
Die Ausgangsthese der EU bei ihrer Strategie, wonach Kleinanlegern der Markt zu rentierlichen Geldanlagen schwer zugänglich ist, ist zumindest für den deutschen Finanzmarkt kaum haltbar. Alle Bürgerinnen und Bürger, auch Kleinanleger, können mit wenigen Schritten online ein Wertpapierdepot eröffnen und nach Gutdünken Wertpapiere kaufen und verkaufen.
Dass dennoch viele Verbraucher ihr Geld auch bei Nullzinsen, Verwahrentgelten und hohen Inflationsraten in Termin- und Sichteinlagen horten, hat nichts mit unzureichendem Marktzugang zu tun. Die Gründe dafür liegen woanders: Deutsche Anleger sind in hohem Maße sicherheitsorientiert, legen also großen Wert auf nominalen Kapitalerhalt und nehmen dafür sogar negative Realrenditen in Kauf. Ein zweiter Grund sind fehlende Kenntnisse über Finanzprodukte und die Zusammenhänge der Finanzmärkte. Will man hier politisch ansetzen, geht es um die Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung der Bevölkerung und um die Förderung kompetenter Beratung. Letztere wird, auch in der EU-Kommission, eher diskreditiert als gefördert. Ein dritter Grund liegt in der regulatorischen Überfrachtung von Finanzprodukten. Ein Berater muss heute mit seinem Kunden beim Abschluss z. B. eines Fondssparplans oder einer fondsgebundenen Rentenversicherung einen erklecklichen Teil der Zeit damit verbringen, Formulare zu erklären und auszufüllen. Diese Bürokratie geht zulasten der eigentlichen Beratung.
Grundsätzlich: Warum wird das Prinzip der Evaluierung außer Kraft gesetzt?
Über inhaltliche Bedenken an der „Kleinanlegerstrategie“ der EU-Kommission hinaus muss die Kritik an ihrer Vorgehensweise grundsätzlich ausfallen. Regulatorische Maßnahmen sollen nach Bekanntgabe und Umsetzung zunächst einige Jahre an den Märkten wirken und danach einer Überprüfung unterzogen und falls erforderlich nachjustiert werden. Das Prinzip der Evaluierung ist aber Teil des Fundaments der Glaubwürdigkeit von Regulierung. Warum setzt die Kommission dieses bewährte Prinzip außer Kraft? Die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie von 2016 (Insurance Distribution Directive, IDD) zum Beispiel ist in einigen EU-Ländern bis heute nicht vollständig umgesetzt. Vorrangige Aufgabe der Kommission wäre es, diesen Missstand zu beheben und für eine EU-weite Anwendung bestehender Regeln zu sorgen. Stattdessen stellt sie das gesamte Regelwerk für alle Länder infrage. Verliert die EU-Kommission den Blick dafür, wie einschneidend Regulatorik für unternehmerische Tätigkeit ist und mit welch immensem Aufwand deren Umsetzung und Einhaltung verbunden ist?
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