„Bereitschaft über Preise zu verhandeln steigt“ – Immobilienkauf mit Weitsicht
Es spricht noch sehr viel für den Erwerb einer Immobilie. Von den steigenden Bauzinsen sollten sich Kaufwillige aber nicht abhalten lassen. Langes Warten ist auch keine Lösung. Davon ist Bianca de Bruijn-van der Gaag, Leiterin Immobilienfinanzierung bei ING Deutschland, überzeugt. Insbesondere die Sanierung spielt aus ESG-Sicht künftig eine entscheidende Rolle.
Das wirtschaftliche Umfeld hat sich in diesem Jahr schlagartig verändert. Auch die Baufinanzierung ist nicht mehr das, was sie im vergangenen Herbst noch war. Wie haben Sie in Ihrem Zuständigkeitsgebiet auf die neue Realität reagiert? Welche Anpassungen mussten Sie vornehmen?
Wir reagieren eigentlich ständig und schauen, was auf dem Markt passiert. Natürlich sind uns dabei die Zinsen und die Entwicklung der Immobilienpreise sehr wichtig. Seit der Corona-Pandemie schauen wir uns noch intensiver unser Kundenportfolio an: Welche Änderungen nehmen Kunden vor? Wie verändern sie ihre Tilgungsrate? Glücklicherweise bewegen sich die Kreditausfälle weiterhin in einem sehr kleinen Rahmen.
Aber mit dem Ukraine-Krieg erleben wir doch eine völlig neue Situation . . .
Das ist richtig. Mit der Inflation und Energiekrise sind die Kundengespräche mit dem Berater noch einmal ganz anders geworden. Es geht mittlerweile darum, ob sich ein Kunde die Immobilienfinanzierung langfristig leisten kann. Es wird der finanzielle Puffer thematisiert, weil steigende Zinsen auch ein höheres finanzielles Polster erfordern. Diesen Schritt wollen viele Kunden nicht mitgehen und schrecken vor einer
Finanzierung zurück.
Wie gehen Sie in der Beratung mit Neukunden um?
Unsere Kundinnen und Kunden können grundsätzlich zwischen ein und zehn Prozent Tilgung wählen. Wir sind mittlerweile dazu übergegangen, dass wir bei 80% der Finanzierungsausläufe nur noch Tilgungssätze ab 2% und höher anbieten. Hier wollen wir erreichen, dass Kunden nach Ablauf der Zinsbindung keine hohe Restschuld haben und nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Man weiß ja nie, wohin die Reise mit den Zinsen in zehn Jahren geht.
Wie reagieren ING-Bestands- und Neukunden auf die derzeitige neue Lage im Bau- und Immobiliensektor?
Unsere Kundinnen und Kunden beschäftigen sich sehr früh mit dem Thema Prolongation. Das spüren wir ganz intensiv. Lange wurde damit abgewartet, weil die Zinsen sehr lange sehr niedrig waren. Jetzt melden sich die Kunden früher als sonst bei uns, weil auf dem Zinsmarkt eine neue Situation entstanden ist. Auch längere Laufzeiten von zehn und 20 Jahren werden öfter gewählt, was früher nicht der Fall war. Ebenso werden Forward-Darlehen zur Zinssicherung vermehrt nachgefragt. Und das Gute ist, unsere Kunden nutzen den kostenlosen Zins- und Darlehensrechner auf unserer Website.
Welche Argumente sprechen derzeit noch für eine Immobilienfinanzierung?
Es spricht noch sehr viel für den Erwerb einer Immobilie, vor allem, wenn man davon ausgeht, dass in den städtischen Räumen die Mieten weiter steigen. Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Wohneigentumsquote hierzulande noch immer sehr niedrig.
Ist Abwarten derzeit eine Option?
Das ist eine Frage für die Glaskugel. Aber was wir im Markt verstärkt sehen, ist, dass es wieder die Möglichkeit gibt, über den Kaufpreis mit dem Verkäufer zu verhandeln. Ich glaube aber nicht, dass die Immobilienpreise deutlich zurückgehen werden. Die Nachfrage ist noch immer größer als das Angebot. Und auch die Zinsen sind mit 3% im Schnitt noch immer nicht hoch.
Wie stark ist bei der ING die in Mode gekommene „grüne Immobilienfinanzierung“?
Das ist derzeit sogar das wichtigste Thema bei uns. Wir haben mittlerweile eine Baufinanzierung Green auf den Markt gebracht. Dort erhalten Kunden, die ihre Immobilie finanzieren wollen und einen Engergieausweis mit der Bewertung „A“ oder „A+“ vorlegen, einen günstigeren Zins. Das ist der erste Schritt. Im zweiten Schritt geht es dann um Renovieren und Sanieren. Hier tun wir in der Beratung bereits sehr viel. Kunden sind für dieses Thema viel offener. Das hat auch mit den steigenden Energiepreisen zu tun. Bisher haben Kunden diese Thematik gerne hinausgeschoben, nach dem Motto, solange nichts kaputt ist, muss ich auch nichts machen. In der Beratung gehen wir die komplette Immobilie durch und erstellen eine Art To-do-Liste, mit der der Kunde zum Handwerker gehen kann, um sein Eigenheim energieeffizienter zu machen. Dabei zeigen wir auf, welche Fördermöglichkeiten und Steuervorteile es gibt.
Mit der zertifizierten Energieberatung ist es derzeit nicht so einfach. Die Wartezeiten sind unglaublich lang. Können Sie helfen?
Die klassische Energieberatung bieten wir nicht an. Wir schauen uns derzeit aber um, welche Zusammenarbeit hier möglich ist und bauen an einer digitalen Lösung. Das ist ein spannender Prozess. Am Ende muss es für den Kunden einfach sein. Wenn es lediglich um den Energieausweis geht, können unsere Kundinnen und Kunden diesen über unseren Partner McMakler zu einem günstigen Preis erwerben.
Welche Folgen hat die ESG-Thematik im Allgemeinen für Ihr Geschäft derzeit?
Das Thema ist uns als Bank sehr wichtig und fordert entsprechend hohes Engagement. Wir müssen reporten, was wir finanzieren und darlegen, welche Assets grün sind und welche nicht. Dafür gibt es die EU-Taxonomie, nach der wir uns richten. Beim Neugeschäft ist das Reporting kein Problem, weil wir unsere Kunden direkt fragen und die Daten erhalten. Spannend ist es hingegen beim Bestand, wo wir derzeit 500 000 Objekte finanzieren. Hier kennen wir nur das Baujahr der Immobilie. Zudem kommen wir noch an Informationen, wenn der Kunde renoviert. Mehr wissen wir derzeit einfach nicht. Jetzt geht es einerseits um die Frage, wie kommen wir an diese Daten fürs Reporting. Auf der anderen Seite sind diese Informationen für die Beratung des Kunden sehr wichtig, um etwa festzustellen, wann der richtige Zeitpunkt für die Renovierung gekommen ist.
500 000 Objekte sind eine Hausnummer. Was können Sie noch tun, um an die Daten zu kommen?
Es gibt gute Anbieter am Markt, die uns helfen können. Die schauen wir uns gerade an. Am Ende geht es für uns darum, festzustellen, wie unser Bestandsportfolio aussieht. Pro Immobilie kann man das ganz gut ermitteln. Da sind wir gerade dran. Im Anschluss – und das wird aus unserer Sicht spannend – wollen wir an den Kunden mit konkreten Sanierungs- und Renovierungsvorschlägen herantreten.
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