10 Jahre Europäische Aktiengesellschaft
"31 Jahre lang hatte das europäische Gesetzgebungsverfahren gedauert. Als dann am 18.10.2004 die Europäische (Aktien-) Gesellschaft (Societas Europea, SE) Wirklichkeit wurde, wusste keiner so recht, ob die Wirtschaft sie überhaupt annehmen würde. Nach verhaltenem Anfang ist die SE aus dem Wirtschaftsleben kaum noch wegzudenken. Aus guten Gründen, wie Albert Schröder von der Sozietät Friedrich Graf von Westphalen & Partner erläutert."
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Die neue Rechtsform mit all ihren Interferenzen zwischen europäischem Recht und damals 25 nationalen Rechtsordnungen erschien vielen zunächst zu verkopft. Die arbeitsrechtliche Mitbestimmung auszuhandeln, galt vielen Unternehmen weniger als Chance denn als Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Und ausgerechnet für grenzüberschreitende Strukturänderungen, die mit Hilfe der SE doch gerade erleichtert werden sollten, fehlte es an einem einheitlichen gesetzlichen Rahmen. Nicht zuletzt galt auch das Gründungsverfahren als viel zu schwerfällig. Diese anfänglichen Bedenken sind heute weitgehend ausgeräumt. Mittlerweile gibt es europaweit über 2 000 SEs, viele davon in Deutschland. Von den 30 DAX-Unternehmen sind fünf in einer SE oder SE & Co. KGaA organisiert (Allianz, BASF, E.ON, Fresenius und SAP). Von den 60 MDAX- und SDAX-Unternehmen sind es 12 (darunter Axel Springer, Bilfinger, MAN, Puma und SGL Carbon). Die Motive sind vielfältig. Im Vergleich zu nationalen Gesellschaftsformen hat die SE den Vorteil, in ganz Europa als Rechtsform eines größeren, international agierenden Unternehmens bekannt zu sein. Außerdem bietet die SE gegenüber der Aktiengesellschaft (AG) in wichtigen Punkten eine breitere Gestaltungsflexibilität: Bei größeren (in der Regel mitbestimmten) Gesellschaften kann etwa der Aufsichtsrat verkleinert werden. Dies war für die Allianz ein Grund für die Umwandlung in eine SE.
Spielraum für den Mittelstand
Auch mittelständische Unternehmen finden bei der SE interessanten Gestaltungsspielraum. Für die oberste Führungsebene lässt sich ein „Einheits-Board“ verwirklichen: Dann tritt an die Stelle von Vorstand und Aufsichtsrat ein einziges Organ, der Verwaltungsrat, in dem aufsichtführende und geschäftsführende Mitglieder in einem einzigen Gremium zusammenrücken. Im Verwaltungsrat gehen geschäftsführende und beaufsichtigende Aufgaben ineinander über und können maßgeschneidert aufgeteilt und zugeordnet werden, anders als zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Das entspricht nicht dem Trend zu verstärkter Trennung von Geschäftsführung und Aufsicht, wie sie der Corporate Governance Kodex für börsennotierte Unternehmen fordert, kann aber eigentümergeführten Unternehmen Nachfolgeregelungen erleichtern. Ein Beispiel: Wenn sich der bisherige Firmenlenker allmählich aus dem Tagesgeschäft zurückziehen, aber nicht von heute auf morgen auf Aufsichtstätigkeiten beschränken will (und soll), kann er die Position des Verwaltungsratsvorsitzenden übernehmen, während sein Nachfolger zunächst die Rolle eines – gegenüber dem Verwaltungsrat weisungsgebundenen – geschäftsführenden Direktors mit Sitz im Verwaltungsrat erhält. Die so genannte monistische Variante der SE wird mittlerweile von knapp der Hälfte aller deutschen SEs gegenüber dem herkömmlichen dualistischen Modell mit Vorstand und Aufsichtsrat bevorzugt.
Arbeitnehmer-Mitbestimmung
Zu guter Letzt noch ein Blick auf die Arbeitnehmer-Mitbestimmung in der SE. Von Gewerkschaftsseite wird mit Misstrauen beobachtet, dass sich die SE zur Vermeidung einer sonst bei weiterem Personalwachstum einsetzenden unternehmerischen Mitbestimmung einsetzen lässt: Das Überschreiten der Schwelle von 500 Arbeitnehmern (Drittel-Beteiligung) bzw. 2 000 Arbeitnehmern (paritätische Mitbestimmung) führt in einer SE, anders als bei GmbH und AG, nicht automatisch zu einer Verschärfung des Mitbestimmungstatus. Denn die deutschen Mitbestimmungsgesetze gelten für die SE nicht. Stattdessen wird das genaue Maß der Mitbestimmung zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern ausgehandelt und, wenn eine Einigung nicht möglich ist, kurzerhand auf den Status Quo vor Umwandlung in die SE eingefroren. Dies muss von Arbeitnehmerseite nicht stets als Nachteil gesehen werden, wie sich vor einigen Jahren beim (letztlich missglückten) Versuch der Übernahme von VW durch Porsche zeigte. Dort war der Porsche-Betriebsrat dezidiert für die Umwandlung in eine SE eingetreten. Unter dem Strich überwiegt auf Gewerkschaftsseite aber weiterhin die Skepsis. Der Europäische Gewerkschaftsbund verfolgt seit Schaffung der SE europaweit die Gründung jeder einzelnen SE und dokumentiert seine Beobachtungen auf einer eigenen Webseite. Die Absicht der Europäischen Kommission, der SE noch ein kleines Schwesterchen an die Seite zu stellen, die SPE (Societas Privata Europaea oder Europäische Privatgesellschaft), ist momentan durch die Mitbestimmungsfrage blockiert. Die SPE sollte auch kleineren und mittleren Unternehmen den europäischen Auftritt und die Regelungsflexibilität einer SE ermöglichen, die Komplexität aber auf die einer GmbH reduzieren. Mit einer Einigung scheint in naher Zukunft nicht mehr zu rechnen zu sein. Der SE erhält dies bis auf weiteres ihr Alleinstellungsmerkmal.
Am 18.10. wird die SE 10 Jahre alt. Ein Ende für ihre weitere Ausbreitung ist nicht abzusehen. Europa wächst weiter zusammen, und zur Internationalisierung des Geschäfts, insbesondere auf europäischer Ebene, gibt es keine wirtschaftlich vernünftige Alternative. Bleiben wir daher beim gut europäischen Latein und wünschen: Societas Europaea – ad multos annos.
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